St. Albertus Magnus Ottobrunn

 

 
" Zeit und Ewigkeit "

PHÄNOMENE IN WORT UND SCHRIFT

Eine Sonderausstellung in der
Bibliothek des Benediktinerstifts Admont, Österreich


Ausgewählte mittelalterliche Handschriften und Drucke bieten spotlichtartige Betrachtungen dieser Phänomene. Zudem ermöglicht die Präsentation der Ausstellung im barocken Prunksaal der Admonter Stiftsbibliothek vielfältige inhaltliche Bezüge zu dessen Skulpturen- und Freskenprogramm.

Die, mit freundlicher Genehmigung des Stiftsarchivs, dem Ausstellungskatalog entnommene Schriftenauswahl deutet an, welche zeitlose Faszination von einem solchen Thema ausgeht.    
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Übersicht:


  1. Die Zeit der Chronologen und der Philosophen

DIE BEWEGUNG DER WELT UND DER GESTIRNE BEWIRKT DEN WECHSEL DER ZEITEN
Plinius der Ältere (23-79), Naturgeschichte, 2. Buch

DREIFACH IST DIE BERECHNUNG DER ZEIT(EINHEIT)EN

Beda Venerabilis (672-735), Über die Berechnung der Zeiten, 2. Kapitel

DIE ZEIT IST DIE MESSZAHL DER BEWEGUNG
Aristoteles (384-322 v. Chr.), Physik, 4. Buch

DIE ZEIT - EIN PHÄNOMEN ZWISCHEN SEIN UND NICHT-SEIN
Aurelius Augustinus (354-430), Bekenntnisse, 11. Buch

  1. Die Zeit der Bibel und der Kirche

    ALLES AUF ERDEN HAT SEINE ZEIT NACH DER GÖTTLICHEN ORDNUNG

    Altes Testament, Prediger ("Koheleth"), 3. Kapitel

    DER EWIGE GOTT UND DER VERGÄNGLICHE MENSCH
    Altes Testament: Psalm 90 (89)

    DER TAG UND DIE NACHT - LICHT UND FINSTERNISS
    Ambrosius von Mailand (um 340-397), Das Sechs-Tage-Werk, 1. Buch

    IM KLOSTER GESCHEHE ALLES ZU DEN FESTGESETZTEN ZEITEN

    Benedikt von Nursia (um 480-550), Mönchsregel, 47. und 48. Kapitel

  2. Von der Zeit zur Ewigkeit - Die "Vier letzten Dinge"

    DIE EWIGKEIT IST DER VOLLKOMMENE BESITZ DES GANZEN LEBENS

    Boethius (ca. 480-524), Über die Tröstung der Philosophie, 5. Buch

    DIE EWIGKEIT IST DAS MASS DES GLEICHBLEIBENDEN SEINS
    Thomas von Aquin (1224 / 25-1274), Summe der Theologie, 10. Frage / 4. Artikel

    DER LEIBLICHE TOD UND DAS EWIGE LEBEN
    Aurelius Augustinus (354-430), Über das Johannes-Evangelium, 49. Vortrag

    DIE AUFERSTEHUNG IST DIE VORAUSSETZUNG FÜR DAS GERICHT
    Athenagoras von Athen (um 125-200), Über die Auferstehung der Toten

    DÄMONEN UND SEELEN IM HÖLLISCHEN FEUER
    Aus den Visionen des irischen Soldaten Tnugdalus (Mitte des 12. Jahrhunderts)

    ES GIBT NICHT NUR EINEN, SONDERN MEHRERE HIMMEL
    Jakob von Voragine (1228-1298), Betrachtung zum Fest Christi Himmelfahrt


  3. Zeitrechnung und Geschichtsschreibung

    ZEITALTER, ZEITEN UND ÄONEN

    Johannes von Damaskus (um 680-750), Darlegung des wahren Glaubens, 2. Buch

    DIE IRDISCHEN KÖNIGREICHE UND DAS EWIGE GOTTESREICH
    Altes Testament: Das Buch Daniel, 2. Kapitel

    DIE GRÜNDUNG DER STADT ROM ALS "GEHEILIGTER URSPRUNG" IHRER GESCHICHTE

    Titus Livius (59 v.-17 n. Chr.), Römische Geschichte seit der Gründung der Stadt, Vorwort


  4. Die Geburt Christi als Zeitenwende

    GOTT WURDE MENSCH IN DER FÜLLE DER ZEIT

    Aurelius Augustinus (354-430); Über das Johannes-Evangelium, 31. Vortrag

    MIT CHRISTI GEBURT BEGANN DAS SECHSTE WELTZEITALTER
    Hartmann Schedel (1440-1514), Buch der Chroniken und Geschichten

    CHRISTI GEBURT ALS BEGINN DER NEUEN ZEITRECHNUNG
    Otto von Freising (ca. 1111/15-1159), Weltgeschichte ("Chronik"), 3. Buch

    DAS TAUSENDJÄHRIGE REICH CHRISTI UND DAS NEUE JERUSALEM
    Neues Testament: Offenbarung des Johannes, 20. und 21. Kapitel


 

I. Die Zeit der Chronologen und der Philosophen

DIE BEWEGUNG DER WELT UND DER GESTIRNE BEWIRKT DEN WECHSEL DER ZEITEN

Plinius der Ältere (23-79), Naturgeschichte, 2. Buch

Dass die Welt eine allseits vollkommen kreisförmig gebildete Kugel sei, lehrt nicht nur dieStiftskirche Admont hierin offenbare Übereinstimmung aller Völker, sondern geht auch aus Beweisgründen hervor, die auf die Natur der Sache gestützt sind. Denn eine solche Figur neigt sich in allen Teilen in sich, muss sich selbst tragen, schließt sich selbst ein und hält sich, ohne weiterer Bande zu bedürfen. Sie kennt auch weder Anfang noch Ende in irgend einem ihrer Teile. Zugleich ist diese Form die am besten passende für jene Art von Bewegung, in der sie sich beständig drehen muss.

Dass die solchermaßen gestaltete Welt in ewig unablässigem Schwung in einem Zeitraum von vierundzwanzig Stunden mit unglaublicher Geschwindigkeit herumgetrieben wird, setzt der Auf- und Untergang der Sonne außer Zweifel. Ob aber durch die unaufhörliche Umdrehung dieses Gebäudes ein unermesslicher Schall entsteht, möchte ich ebenso wenig zu behaupten wagen, als dass das Getöne der in ihren Kreisbahnen wandelnden Gestirnen eine sanfte, anmutige Harmonie sei. Für uns, die wir mitten darin wohnen, beschreibt die Welt ihre Bahn lautlos bei Tag und Nacht.

Zwischen Himmel und Erde schweben in der selben Luft, durch bestimmte ZwischenräumeStiftsbibliothek Admont, größte klösterliche Bibliothek der Welt voneinander getrennt, sieben Sterne, die wir die Planeten nennen. Mitten unter ihnen läuft die Sonne, ein Gestirn von der erhabensten Größe und Macht, von deren Einfluss nicht nur Raum und Zeit, sondern auch die Sterne und der ganze Himmel abhängen. Wohl mag man sie daher in Erwägung ihrer Wirkungen als Triebfeder, ja als Seele der Welt betrachten, ihr die höchste Herrschaft über die Natur und selbst göttliche Macht zuschreiben. Sie bestimmt die Abfolge von Tag und Nacht, den Wechsel der Jahreszeiten und das nach den Naturgesetzen stets wieder neu werdende Jahr. Sie zerstreut die Düsternis des Himmels und durchbricht die Wolken des menschlichen Geistes.

Unter allen Gestirnen aber das Bewundernswerteste und der Erde als dem Mittelpunkt der Welt am Nächsten stehende ist jedoch der Mond. Durch seinen vielfachen Umschwung setzt er den Geist der Beobachter in große Verlegenheit, indem er beständig zu- oder abnimmt. Er hat den kleinsten Umlaufkreis, verweilt zwei Tage in Konjunktion mit der Sonne und beginnt dann wiederum spätestens am dreißigsten Tage seinen Wechsel. Unzweifelhaft hat er zu allem, was am Himmel beobachtet und erkannt wurde, die Anleitung gegeben und veranlasst, dass das Jahr in zwölf Monate geteilt wurde, da er eben so viel Mal die nach dem Ausgangspunkt ihres Laufes zurückkehrende Sonne erreicht.

DREIFACH IST DIE BERECHNUNG DER ZEIT(EINHEIT)EN

Beda Venerabilis (672-735), Über die Berechnung der Zeiten, 2. Kapitel

Die Zeiten (tempora) haben ihren Namen von der richtigen Einteilung (temperando): Einerseits deswegen, weil eine jede als Zeitraum anzusehende Einheit für sich selbst eingeteilt wird; andererseits deswegen, weil durch die einzelnen Zeiteinheiten, nämlich die Augenblicke, Stunden, Tage, Wochen, Monate, Jahre, Jahrhunderte und Zeitalter ein jeder Ablauf des sterblichen Lebens eingeteilt wird.

Bei der Festlegung und Berechnung dieser Zeiteinheiten sind dreierlei Weisen zu unterscheiden, denn diese ergibt sich erstens aus der Natur selbst, zweitens aus der menschlichen Gewohnheit, und drittens durch die Anordnung von Seiten einer Autorität. In diesem letztgenannten Fall sind wiederum zwei Arten zu unterscheiden, nämlich die menschlichen und die göttlichen Bestimmungen.

Von der Natur, nämlich von den Bewegungen der Welt und der Gestirne, sind die Tage, die Monate und die Jahre festgelegt. Bei den Tagen ist allerdings ein Unterschied zu machen zwischen dem Tag in seinem vollen Umfang, der auch die Nacht in sich einschließt, und dem Tag in seinem eigentlichen Sinne, der nur jenen Zeitraum umfasst, in dem die Erde von der Sonne erleuchtet wird. Den Wechsel der zwölf Monate gibt uns der Umlauf des Mondes mit seiner unablässigen Aufeinanderfolge des Abnehmens und Zunehmens an, und das Jahr wird nach dem Umlauf der Sonne gemessen, von einer Tag-und-Nacht-Gleiche oder auch von einer Sonnenwende zur anderen.

Auf den Anordnungen menschlicher Autoritäten beruhen beispielsweise die vierjährigen Zyklen der Olympiaden sowie die ehemals gebräuchlichen neuntägigen Wochen und die fünfzehnjährigen Indiktionen. Auf menschliche Verordnung geht weiters auch die Einschiebung eines Schalttages zurück, den die Römer ebenso wie früher schon die Ägypter und die Griechen in jedem vierten Jahr entweder in den Februar oder in den August einfügen ließen, weil ja bekanntlich jedes Sonnenjahr gegenüber dem Kalenderjahr einen Überschuss von einem Vierteltag mit sich bringt. Durch göttliches Gebot ist wiederum bestimmt worden, dass der siebente Tag der Woche als Sabbat gehalten werden soll, dass in jedem siebenten Jahr die Feldarbeit ruhen solle und dass jedes fünfzigste Jahr als Jubeljahr begangen werden soll.

Auf menschlicher Gewohnheit beruht hingegen die Berechnungsweise, dass ein Monat dreißig Tage zählen soll; dies stimmt aber weder mit dem Umlauf der Sonne noch mit dem des Mondes überein: Der Mond hat nämlich in seinem Umlauf um zwölf Stunden zu wenig, die Sonne aber um zehneinhalb Stunden zu viel.

DIE ZEIT IST DIE MESSZAHL DER BEWEGUNG

Aristoteles (384-322 v. Chr.), Physik, 4. Buch

Wenn wir danach fragen, was die Zeit ist, so müssen wir zunächst die Frage stellen, was sie denn im Hinblick auf die Bewegung ist. Wir nehmen ja Bewegung und Zeit zugleich wahr, und selbst im Dunkeln, wenn wir über unseren Körper äußerlich nichts wahrnehmen, in unserem Bewusstsein aber irgendein Vorgang abläuft, dann ist augenscheinlich zugleich auch ein Stück Zeit vergangen. Indessen gilt auch umgekehrt: Wenn eine bestimmte Zeit vergangen zu sein scheint, dann scheint zugleich auch eine bestimmte Bewegung vor sich gegangen zu sein. Daraus ergibt sich die Folgerung: Entweder ist die Zeit zugleich auch Bewegung, oder sie ist etwas im Hinblick auf die Bewegung. Da sie nun aber mit der Bewegung nicht gleichgesetzt werden kann, so muss sie etwas mit Bezug auf die Bewegung sein.

Weil nun ein Bewegtes sich stets von etwas fort zu etwas hin bewegt, und weil jede Ausdehnungsgröße eine zusammenhängende ist, so folgt natürlich auch hierin die Bewegung einer solchen Größe: Wegen der Tatsache, dass eine Größe immer zusammenhängend ist, muss auch die Bewegung etwas Zusammenhängendes sein, und infolge der Bewegung gilt dies auch für die Zeit. Wie lange nämlich eine Bewegung verlief, genauso viel Zeit ist darüber allem Anschein nach vergangen.

Wir erfassen nun die Zeit, indem wir die Bewegung unterteilen, und dies tun wir mit der Unterscheidung von "Davor" und "Danach"; und wir sagen dann, dass Zeit vergangen sei, wenn wir ein solches "Davor" und "Danach" bei der Bewegung wahrnehmen. Diese Unterscheidung vollziehen wir dadurch, dass wir die einzelnen Abschnitte der Bewegung immer wieder als jeweils andere wahrnehmen und zwischen ihnen noch ein weiteres, von ihnen unterschiedenes Element ansetzen. Wenn wir nämlich die Enden als von der Mitte verschieden begreifen und das Bewusstsein zwei "Jetzt"-Zustände anspricht, den einen davor, den anderen danach, dann sagen wir, dies sei Zeit. Was nämlich durch ein "Jetzt" begrenzt ist, das ist offenbar Zeit.

Wenn wir also das Jetzt als einziges wahrnehmen und nicht entweder als ein "Davor" oder ein "Danach" in der Bewegung oder als Grenze zwischen einem vorherigen und einem nachherigen Ablauf, dann scheint keine Zeit vergangen zu sein, weil ja auch keine Bewegung ablief. Wenn dagegen ein "Davor" und ein "Danach" wahrgenommen wird, dann nennen wir es Zeit. Denn eben das ist die Zeit: Die Messzahl von Bewegung hinsichtlich des "Davor" und "Danach", denn alles messbare "mehr" oder "weniger" an einer Sache entscheiden wir mit Hilfe einer Zahl, und bei der Bewegung tun wir dies eben mittels der Zeit.

DIE ZEIT - EIN PHÄNOMEN ZWISCHEN SEIN UND NICHT-SEIN

Aurelius Augustinus (354-430), Bekenntnisse, 11. Buch

Was ist die Zeit? Wer könnte den Begriff leicht und kurz erklären? Wer könnte ihn auch nur in Gedanken erfassen, um ihn sodann in Worten zu entwickeln? Was aber erwähnen wir öfter in unseren Gesprächen, was erscheint uns bekannter und vertrauter als die Zeit? Und wir verstehen in der Tat, wenn wir davon sprechen, den Begriff, und wir verstehen ihn auch, wenn wir jemanden davon sprechen hören. Was ist also die Zeit?

Wenn mich niemand fragt, so weiß ich es; will ich es aber jemandem auf seine Frage hin erklären, so weiß ich es nicht. Denn nur soviel kann ich gewiss sagen: Ginge nichts vorüber, so gäbe es keine Vergangenheit; käme nichts heran, so gäbe es keine Zukunft; bestände nichts, so gäbe es keine Gegenwart. Wie aber kann man sagen, dass jene zwei Zeiten - Vergangenheit und Zukunft - tatsächlich existieren, wenn die Vergangenheit nicht mehr und die Zukunft noch nicht ist? Wäre dagegen die Gegenwart beständig gegenwärtig, ohne sich je in Vergangenheit zu verlieren, dann wäre sie keine Zeit mehr, sondern Ewigkeit.

Wenn also die Gegenwart, um Zeit zu sein, in die Vergangenheit übergehen muss, wie können wir dann sagen, dass sie an das Sein geknüpft ist, da der Grund ihres Seins doch offenkundig darin besteht, dass es sofort in das Nicht-Sein übergeht? Also müssen wir in Wahrheit sagen: Die Zeit ist deshalb Zeit, weil sie zum Nicht-Sein hinstrebt.

Und doch reden wir von kurzer und langer Zeit; aber das können wir nur von der Vergangenheit und von der Zukunft sagen. Wie aber kann denn etwas lang oder kurz sein, das gar nicht ist ? Denn die Vergangenheit ist nicht mehr, und die Zukunft ist noch nicht. Wir sollten also nicht sagen: "Die vergangene Zeit war lang"; wir werden nämlich an ihr nichts finden, was lang war, da sie ja, seitdem sie vergangen ist, nicht mehr besteht. Vielmehr müssten wir sagen: "Jene damalige Gegenwart war lang"; denn nur, weil sie damals Gegenwart war, konnte sie lang sein. Und da war sie noch nicht ins Nicht-Sein übergegangen, und deshalb war etwas da, das lang sein konnte. Sobald sie aber vorübergegangen war, hörte sie zugleich auf, lang zu sein, weil sie überhaupt aufgehört hatte, zu sein.




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Last updated 11.01.10