Liebe Mitbrüder im bischöflichen Amt,
liebe Schwestern und Brüder!Das Entsetzen über den Massenmord in den
USA hat die Welt emotional aus den Angeln gehoben. Dies trifft auch jeden
einzelnen von uns. Darum haben wohl auch viele Menschen in diesen vierzehn
Tagen den Weg in die Kirchen gefunden, um dort über die Sprachlosigkeit
nachzudenken und vor Gott Wege zu finden, um sie zu überwinden.
In den letzten Tagen häuften sich jedoch Gespräche, Briefe und Anrufe,
in denen die Menschen ihre große Sorge zum Ausdruck brachten, die Welt
könne nun rasch in eine ausweglose kriegerische Auseinandersetzung
hineinschlittern, ähnlich wie in der Tragödie in Vietnam. Da wird es gut
sein, bei aller Betroffenheit besonnen zu bleiben. Es dürfte klug und
hilfreich sein, sich dabei an dem zu orientieren, was die Kirche in ihrer
Verkündigung und Lehre bisher sagte, auch wenn wir die ganz
außerordentliche, ja wohl einmalige Situation nicht verkennen wollen. An
diesem einen Punkt ist der täglich gehörte Satz, seit dem 11. September
2001 sei nichts mehr, wie es einmal war, doch noch einmal zu bedenken.
Unsere politische Kultur und auch die Friedensbotschaft der christlichen
Kirchen haben durchaus für diese "Zeit danach" etwas zu sagen.
Unser umfangreiches Friedensdokument, das wir Bischöfe genau vor einem
Jahr, am 27. September 2000, mit dem Titel "Gerechter Friede"
verabschiedet haben, bekommt in diesen Tagen eine ganz neue Aktualität. Es
wird gut sein, wenn wir uns dieses Textes erinnern. Das Dokument kann uns
auch helfen, dass wir uns nicht zu sehr von der jetzt entstandenen
Situation allein bestimmen lassen. Darin liegt der Vorzug von Lehre und
Tradition gerade in unserer Kirche. Das darf uns aber nicht unsensibel
werden lassen für die einmalige Herausforderung, vor der wir in diesen
Tagen stehen.
Der christliche Glaube weiß, dass er geschehenes Unrecht in den
allermeisten Fällen nicht einfach aufheben und zur "Normalität"
zurückkehren kann. Freilich, wir verlangen Wiedergutmachung, soweit eine
solche überhaupt möglich ist. Aber es kann auch bei größtem Unrecht nicht
darum gehen, Vergeltung oder Rache zu üben, auch wenn wir Menschen von
unserer konkreten Natur her dazu neigen, gerade in solchen Fällen
unerbittlich Auge um Auge, Zahn um Zahn aufzurechnen.
Es soll kein Zweifel bestehen, dass man die Verantwortlichen für dieses
Attentat aufspüren und vor Gericht stellen soll. Die Völkergemeinschaft
kann nicht hinnehmen, dass solche Angriffe auf die Menschheitsfamilie ohne
Konsequenzen bleiben. Dabei kann es nicht allein um ein paar hastig
zusammengebastelte Sondergesetze gehen, wie z.B. einen Fingerabdruck im
Pass, die Preisgabe des Datenschutzes oder verdeckte Ermittler mit
problematischen Befugnissen, so sehr die Sicherheit der Menschen in allen
Ländern noch besser gewährleistet sein muss. Aber Maßnahmen, die nun
getroffen werden, dürfen sich nicht nur auf eine Art Rückschau auf das
beschränken, was an Furchtbarem geschehen ist. Wir müssen wieder eine neue
Perspektive für ein Leben der Menschen in Freiheit in der Zukunft
gewinnen. Darum haben die Maßnahmen weitgehend den Sinn, künftige
Anschläge solcher Art möglichst zu verhindern. Die Antwort muss jetzt in
Richtung entschiedener Prävention und nicht bloßer Repression gehen. Dabei
dürfen wir uns nicht im Wahn absoluter Sicherheit wiegen, die es niemals
geben kann. Sonst würde unser Zusammenleben einem Gefängnis ähnlich werden
oder in einen Überwachungsstaat münden.
Unter diesen Voraussetzungen hat sich die Deutsche Bischofskonferenz
vor einem Jahr auch zur "Problematik bewaffneter Interventionen" geäußert.
Ich möchte aus diesem Text einige Aussagen in Erinnerung bringen.
In solchen Situationen stellt sich vor allem die Frage, unter welchen
Bedingungen die Anwendung von Gegengewalt gerechtfertigt sein kann:
 | Die Anwendung von Gegengewalt
kommt nur als "ultima ratio" in Betracht, als äußerste und letzte
Möglichkeit also, wenn alle anderen Mittel, um dem Recht einen Weg
zu bahnen, erschöpft sind.
|
 | Auch wenn die Gewaltanwendung
der Verteidigung elementarer Rechtsgüter dient, "bringt
Gewaltanwendung rasch ein nur schwer begrenzbares Ausmaß von Leid
mit sich; sie bedeutet deswegen ein schwerwiegendes Übel, mag es
sich auch um das geringere Übel handeln." Die Gewaltanwendung
entfaltet ihre Eigendynamik und endet oft in einem Übermaß von
Gewalteinsatz. Getroffen wird dann hauptsächlich die
Zivilbevölkerung. Es wäre ein fataler Teufelskreis, wenn
begangenes Unrecht durch eine erneute Ungerechtigkeit beglichen
würde, selbst wenn das Verbrechen himmelschreiend war. Auch der
gute Wille zur Bestrafung der Verantwortlichen und zur
Verhinderung einer Wiederholung kann bei der heutigen
wissenschaftlich gestützten, technologisch perfektionierten
Waffengewalt zu fürchterlichsten Entschlüssen und Wirkungen
führen. Der Abwurf der Atombomben im August 1945 auf japanische
Großstädte steckt uns noch in den Knochen.
|
 | Wir leben in einer Zeit, die
subtile und grobe Angriffe auf das Leben kennt. Darum fordern wir
mit Recht und mehr als früher Gewaltverzicht. Deswegen mehren sich
auch in der Kirche kritische Stimmen gegen ein Recht und erst
recht den Vollzug der Todesstrafe und gegen die Erlaubnis zur
Tötung in einem "gerechten Krieg". Wir erblicken eine Ausnahme am
ehesten noch in der unmittelbaren Notwehr gegenüber einem
Angreifer, besonders wenn es um unschuldige Wehrlose geht
("Nothilfe"). So erscheint es "fraglich, ob es jenseits
unmittelbarer Notwehr zur Verteidigung von Leib und Leben Ziele
gibt, die den Einsatz militärischer Gewalt rechtfertigen können".
In jedem Fall ist bei der Erwägung von Gewaltanwendung "ein
größtmögliches Maß an Sorgfalt in der Prüfung der zu erwartenden
Folgen" notwendig."
|
 | Gewaltärmere Mittel und
Maßnahmen, die weniger Leid und Zerstörung mit sich bringen, sind
immer vorzuziehen". Es muss außerdem eine hinreichende
Wahrscheinlichkeit gegeben sein, dass das Ziel einer bewaffneten
Intervention tatsächlich erreicht wird, wobei die
Verhältnismäßigkeit der angewendeten Mittel nicht übersehen werden
darf. "Jede militärische Intervention muss mit einer politischen
Perspektive verbunden sein, die grundsätzlich mehr beinhaltet als
die Rückkehr zum status quo ante (früheren Zustand). Denn es
reicht nicht aus, aktuelles Unrecht zu beheben. Es geht darum, es
auf Dauer zu verhindern." Alle Maßnahmen sollten in ein
Gesamtkonzept eingebettet sein. |
|
Die Kirchen haben keine Autorität und Kompetenz, diese
Grundsätze in die politische und militärische Praxis umzusetzen. Darum
können sie auch die anstehenden Probleme selbst nicht lösen. Aber sie
können grundlegende Kriterien für eine Anwendung von Gewalt aufstellen und
dafür die Gewissen schärfen.
Dies kann wohl nicht ohne eine erweiterte Reflexion
geschehen, die ich freilich nur noch andeuten kann. Wir müssen verhindern,
dass der Islam zu einem Feindbild wird. Unser Feind ist der Terrorismus.
Wir brauchen eine verstärkte Offenheit gegenüber fremden Kulturen, ohne
unsere Herkunft zu verleugnen und unsere Kultur zu vernachlässigen. Aber
auch das Armutsgefälle in der Welt ist sicherlich eine Brutstätte für den
internationalen Terrorismus, so verabscheuungswürdig dieser ist. Die
Schattenseiten der Globalisierung werden zu wenig ernst genommen, selbst
wenn sie gewiss auch armen Völkern viel Segen bringen kann. Die Eindämmung
der terroristischen Gewaltanwendung und alle präventiven Maßnahmen müssen
auch hier wirksam ansetzen.
Der Frieden ist nur durch große Opfer und Verzichte zu
gewinnen. Auch Jesus konnte uns den Frieden untereinander und für die Welt
nur am Kreuz schenken. Daher brauchen wir immer wieder die erneute Einkehr
beim Evangelium des Friedens und des Lebens. Der heilige Niklaus von Flüe,
den wir heute in der Kirche feiern, kommt zwar aus einer anderen Zeit auf
uns zu, im Kern zeigt aber auch er in der Nachfolge Jesu Christi durch
sein Leben auf, worum es geht. Dies ist besonders aufbewahrt in einem
kleinen Gebet des Bruders Klaus:
"O mein Gott und mein Herr,
nimm alles von mir, was mich hindert zu dir.
O mein Gott und mein Herr,
gib mir alles, was mich fördert zu dir."
Nur so können wir ein wahres Werkzeug des Friedens
werden. Amen.