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Predigten 2004
Der missionarische
Auftrag der Kirche |
Gemeinsamer Hirtenbrief der
deutschen Bischöfe anlässlich des Bonifatius-Jubiläums
24. Oktober 2004 |
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1. Aufbruch im Umbruch
"Wir sind Missionsland geworden". Diese Diagnose, die Alfred Delp schon
1941 hellsichtig in Fulda formuliert hat, ist inzwischen bittere Realität
geworden, im Osten spürbarer noch als im Westen. Das Christentum ist
zwischen Berlin und München, zwischen Köln und Dresden zwar kulturell
weiterhin präsent, aber bei vielen nicht mehr im Herzen lebendig. Wir sind
dabei, unser kostbarstes Erbe zu verschleudern: Gott zu kennen, wie Jesus
Christus ihn uns bekannt gemacht hat. Das ist kein Grund zum Jammern, aber
auch kein Anlass, selbstgenügsam einfach weiterzumachen. Schönreden hilft
nicht, Schwarzmalen schon gar nicht. Die Lage ist durchaus nicht überall
gleich. Vielerorts in der Welt ist die katholische Kirche eine jugendliche
Aufbruchsbewegung. Wir leben in einer Zeit, in der sie erstmals wirklich
Weltkirche wird. Gleichwohl, die Umbrüche und Einschnitte hierzulande
gehen ins Mark, jede Gemeinde bekommt sie schmerzlich zu spüren. Am Grabe
des heiligen Bonifatius versammelt und seines 1250. Todestages gedenkend
haben wir ein Dokument zur Weltmission verabschiedet, das wir Ihrer
Aufmerksamkeit sehr empfehlen. In diesem Brief möchten wir Ihnen gerafft
und nachdrücklich unsere Mission heute ans Herz legen.
Umbruchszeiten sind Gnadenzeiten. Sie bedeuten Abschied und Aufbruch,
Trauerarbeit und Lust zur Innovation. Gott selbst ist es, der unsere
Verhältnisse gründlich aufmischt, um uns auf Neuland zu locken wie
Abraham, wie Mose, wie Bonifatius. Ja, wir haben eine Mission in unserem
Land und weltweit. Darin sind wir unvertretbar. Haben wir doch mit dem
Evangelium eine Botschaft, für die es in dieser Welt keine bessere
Alternative gibt. Sie fordert uns heraus, selbst neu auf sie zu hören und
sie in ihrer befreienden Kraft in das Gespräch mit unseren Zeitgenossen,
mit den anderen Religionen und Völkern einzubringen. Wir sehen uns dadurch
ermutigt, dass so viele von Ihnen ? Jugendliche und Ältere, Frauen und
Männer ? die gegenwärtigen Veränderungen in Gesellschaft und Kirche als
Chance begreifen, den Glauben tiefer zu entdecken und entschiedener zu
leben. Mit Ihnen zusammen tragen wir Verantwortung, unserer Kirche eine
Gestalt zu geben, in der das Evangelium aufleuchten und die Nachfolge Jesu
in Freude und Zuversicht gelebt werden kann.
2. Evangelisierung der Kirche
Mission? Wenn wir ehrlich sind, denken viele: "Ja, wir selbst werden schon
noch katholisch bleiben. Aber andere für den Glauben gewinnen? Nein ? das
sitzt heute einfach nicht mehr drin. Es gelingt uns ja oft in der eigenen
Familie nicht, bei den Kindern oder Enkeln den Glauben wach zu halten."
Und nicht nur junge Leute fügen hinzu: "Die Kirche ist selbst daran
schuld, dass sich viele von ihr abwenden. Sie ist viel zu starr und
festgelegt auf alte Verhaltensmuster."
Wir sind gut beraten, wenn wir solche kritischen Stimmen nicht abwiegeln.
Auch die haben uns etwas zu sagen, die der Kirche fern stehen. Manche von
ihnen leiden bis heute an Wunden, die ihnen eine bisweilen angstbesetzte
Seelsorge zugefügt haben. Wer das Christsein wie eine schwere Last mit
sich herumschleppt, wird kaum jemanden davon überzeugen können, dass das
Evangelium befreiend wirkt. Wir müssen ohne Wenn und Aber eingestehen,
dass die Kirche in unseren Breiten wenig Faszination ausübt. Der Betrieb
läuft - aber ohne Ausstrahlung! Die schleichende Säkularisierung von
innen, die unbemerkt mit rastloser Arbeit einhergehen kann, geht an die
Substanz und ist viel gefährlicher für den Glauben als der Verlust
gesellschaftlicher Positionen. Sie raubt uns die Überzeugung, dass wir
eine Mission haben, die Mission, das Evangelium vom Reiche Gottes unter
die Leute zu bringen, Menschen für den Glauben an Jesus Christus zu
begeistern.
Was tun? Die schärfsten Anfechtungen kommen von innen, nicht von außen.
Darum kann die Erneuerung nur von innen ausgehen. Manchmal sitzen wir an
einem Problem und blicken nicht durch. Und auf einmal kommt die zündende
Idee: "Da geht mir ein Licht auf!" Wenn das geschieht, dann erhellt sich
unser Gesicht, wir strahlen. Wenn uns Christus als das Licht der Welt
wirklich einleuchtet, dann strahlen wir aus: Menschen mit Ausstrahlung! So
geschieht Mission. Sie geschieht nicht, indem wir Werbekolonnen anheuern
oder Berge von Papier unters Volk bringen, im Letzten auch nicht über die
Medien. Das Medium der Ausstrahlung Gottes sind wir selbst.
Viele Zeitgenossen, gerade oft nachdenkliche und geistlich hungrige,
suchen den Zugang zum christlichen Glauben. Es gibt ja nicht nur
diejenigen, die sich der Kirche entfremden und schließlich ihren Austritt
erklären. Nicht wenige fragen nach dem Eingang in den Glauben und in die
Kirche. Wen treffen sie im Eingangsbereich? Leute, die mit dicken Akten
von Sitzung zu Sitzung hasten, die Termin um Termin wahrnehmen und
schließlich außer Terminen nichts mehr wahrnehmen, die alles gelernt
haben, ? nur nicht, wie man ein geistlicher Mensch wird und wie man es
bleibt?! Das aber ist die Voraussetzung unserer Mission. Also haben wir
nicht nur zu evangelisieren, wir selbst sind gerufen, uns evangelisieren
zu lassen. Missionarische Seelsorge bedeutet nicht, dass der Betrieb auf
Hochtouren läuft. Sie lebt von der geistlichen Grundhaltung, von der
Gegenwart Gottes mitten in unserem Leben. Die zündet.
3. Der Mission ein Gesicht geben
Wir schreiben Ihnen diesen Brief vom Grab des heiligen Bonifatius, dem
Apostel der Deutschen. 1250 Jahre sind seit seinem Tod vergangen. In einer
Zeit tief greifender Umbrüche kam er aus dem Ausland zur Missionierung
unseres Landes. Als Mönch hatte er sich das "Bete und arbeite" zu eigen
gemacht. Seine Mission war geistlich gegründet. Ein Freund sagte nach
seiner Ermordung: Er hat viele Orte betreten, die vor ihm noch kein
Christenmensch betreten hatte. Wagen wir uns heute mit dem Evangelium in
kirchenfremde Räume? Bonifatius arbeitete nicht auf eigene Faust. Er
wirkte zusammen mit Frauen und Männern vor allem aus seiner englischen
Heimatkirche, er suchte immer neu die Einheit mit dem Papst. Er hatte die
Kraft und den Mut, die Geister seiner Zeit zu unterscheiden. Er wusste,
dass nicht alles, was sich religiös nennt und gibt, den Verheißungen des
Evangeliums standhält. Anfechtungen und Selbstzweifel sind ihm nicht
erspart geblieben. Bonifatius ist eine Gründerfigur, die unser Schwanken
zwischen Hoffen und Bangen, zwischen mutigem Aufbruch und resignativer
Ermüdung aus eigener Erfahrung kennt und beispielhaft beantwortet hat.
Das Geheimnis unserer Mission liegt in einem überzeugenden christlichen
Lebens. Die Lebensgestaltung aus der Kraft des Geistes Gottes ist der
nachhaltigste missionarische Dienst: Der Religionslehrer, der nicht nur
vom Glauben redet, sondern ihn authentisch lebt; die Caritasmitarbeiterin,
die der Liebe Christi ihr eigenes Gesicht gibt; die Eltern, die mit ihrem
Kind abends an der Bettkante beten; die Familie, die ihren bettlägerigen
Vater zu Hause pflegt; ? sie alle sind lebendiges Evangelium und strahlen
aus. Unsere nichtchristlichen Zeitgenossen erwarten keine frommen
Ansprachen. Sie sind der großen Worte müde. Gefragt ist ein glaubwürdiges,
persönliches Wort von Mensch zu Mensch: Woraus lebe ich? Was lässt mich
glauben und hoffen? Warum bin ich Christ, warum bleibe ich es? Dort, wo
ein Christ jemanden in sein Leben, in sein Herz schauen lässt, da
geschehen auch heute Wunder. Christen, die mitten im Lebensalltag
geistliches Profil zeigen ? unaufdringlich, aber erkennbar; selbstbewusst,
aber demütig - lassen auch heute aufhorchen. Wir dürfen dem Evangelium
unser Gesicht geben. Sieht man uns an, dass der Weg des Glaubens das Leben
nicht verdirbt und verkümmern lässt, sondern freisetzt und reich macht?
Sind wir des Glaubens so froh, dass es uns drängt, ihn weiterzusagen ? wie
wenn wir jemandem einen wichtigen Tipp zum Leben geben? Sind unsere
Gemeinden Lernorte des Christwerdens?
4. Unsere Weltmission
Jesu Botschaft vom Reich Gottes gilt allen Menschen. Die Kirche ist
Instrument und Sakrament der Einheit aller Menschen mit Gott und
untereinander (vgl. LG 1). Das ist ihr Auftrag und ihre Chance. Sie ist
kein Nischenanbieter auf dem Markt religiöser Sinnangebote. Leider ist
weithin der Eindruck entstanden, sie sei nur mehr eine Veranstaltung für
Kirchenleute, ein Interessenverein, der verwaltet, was er hat und der im
Wesentlichen um seine Selbsterhaltung bemüht ist. Das aber wäre ihr Tod.
Wir dürfen unsere besten Kräfte und Hoffnungsenergien doch nicht in
kircheninterne Strukturdebatten verpulvern. Sie wollen zur Welt kommen.
Wir schulden der Welt das Evangelium vom Reich Gottes, nicht mehr und
nicht weniger. Das ist unsere Welt-Mission.
In unserer Gesellschaft ist Religion zur Privatsache geworden - leider!
Das Evangelium ist kein beliebiger Diskussionsbeitrag, sondern Ruf in die
Freiheit der Söhne und Töchter Gottes. Die Kunst des missionarischen
Handelns besteht darin, von Herzen zum Glauben einzuladen und dabei nicht
zu unterschlagen, dass es um Heil und Unheil geht, um die Zukunft der
Welt. Müssen sich denn heute nur die rechtfertigen, die glauben? Welcher
Schaden entsteht dort, wo man ohne Gott auszukommen meint? Man muss auch
das "ohne Gott" verantworten, mit allen Konsequenzen für die Zukunft
unserer Gesellschaft.
Was wir in Deutschland Bonifatius und mit ihm vielen anderen verdanken,
das geschieht heute weltweit. Der christliche Glaube hat das Gesicht der
Welt verändert, und wir können gar nicht dankbar genug dafür sein. Wir
dürfen in einer Zeit leben, in der Weltkirche wächst, nicht nur räumlich.
Über Jahrhunderte hin sind Missionarinnen und Missionare aus Europa in
alle Welt aufgebrochen. Das wird hoffentlich nicht abbrechen. Längst aber
ist der missionarische Austausch wechselseitig. Wir in Europa haben viel
von den Mitchristen und Ortskirchen anderer Kontinente und Völker zu
lernen. Priester, Ordensschwestern und Laien von dort leben und arbeiten
bei uns. Durch unsere Hilfswerke arbeiten Christen aller Erdteile wie
selbstverständlich zusammen. Am Weltmissionssonntag heute danken wir vor
allem unseren beiden Missionswerken in Aachen und München. "Missionarisch
leben ? Begegnung wagen", so lautet das Leitwort dieses Sonntags. Wie viel
ist da noch zu tun! Wie sehr bedarf es der gemeinsamen Anstrengung aller
Ortskirchen und aller Christen, damit durch uns das Evangelium ausstrahlt
zu denen, die es noch nicht oder nicht mehr kennen. Die Weltmission
braucht nicht nur deutsche Kollektengelder ? die auch! ? sie braucht vor
allem unseren überzeugenden Glauben und unser Gebet. Sie braucht die
Erfahrung, dass die Kirche in Deutschland lebt.
Vom Grab des heiligen Bonifatius in Fulda grüßen und segnen wir Sie.
Fulda, am Fest des heiligen Apostels Matthäus, dem 21. September 2004 |
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Copyright © 10 / 1999 - 2009 by Dieter Herberhold
Last updated
06.12.07 |
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