Predigten 2005

Predigten und Ansprachen von
Papst Benedikt XVI. beim
XX. Weltjugendtag in Köln
 
bullet Predigt am 21.8.2005
bulletAnsprache am 20.8.2005
bullet Ansprache am 21.8.2005
bulletAnsprache am 19.8.2005
 
 
 

Eins


APOSTOLISCHE REISE NACH KÖLN
ANLÄSSLICH DES XX. WELTJUGENDTAGES

HL. MESSE AUF DER EBENE VON MARIENFELD

PREDIGT VON BENEDIKT XVI.

Köln, Marienfeld
Sonntag, 21. August 2005

 
 

Liebe Jugendliche!

Vor der heiligen Hostie, in der Jesus sich für uns zum Brot gemacht hat, das unser Leben von innen her trägt und nährt, haben wir gestern Abend den inneren Weg der Anbetung begonnen. In der Eucharistie soll Anbetung Vereinigung werden. Mit der Eucharistiefeier stehen wir in der "Stunde" Jesu, von der das Johannes-Evangelium spricht. Durch die Eucharistie wird diese seine "Stunde" unsere Stunde, Gegenwart unter uns. Mit den Jüngern feierte er das Pascha-Mahl Israels, das Gedächtnis der befreienden Tat Gottes, die Israel aus der Knechtschaft ins Freie führte. Jesus folgt den Riten Israels. Er spricht das Preis- und Segensgebet über das Brot. Aber nun geschieht Neues. Er dankt Gott nicht nur für die großen Taten der Vergangenheit, er dankt ihm für seine Erhöhung, die im Kreuz und in der Auferstehung geschieht. Dabei spricht er auch zu den Jüngern mit Worten, die die Summe von Gesetz und Propheten in sich tragen: "Dies ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut." Und so teilt er Brot und Kelch aus und trägt ihnen zugleich auf, das, was er jetzt sagt und tut, immer neu zu sagen und zu tun zu seinem Gedächtnis.

Was geschieht da? Wie kann Jesus seinen Leib austeilen und sein Blut? Indem er Brot zu seinem Leib und Wein zu seinem Blut macht und austeilt, nimmt er seinen Tod vorweg, nimmt er ihn von innen her an und verwandelt ihn in eine Tat der Liebe. Was von außen her brutale Gewalt ist, wird von innen her ein Akt der Liebe, die sich selber schenkt, ganz und gar. Dies ist die eigentliche Wandlung, die im Abendmahlssaal geschah und die dazu bestimmt war, einen Prozess der Verwandlungen in Gang zu bringen, dessen letztes Ziel die Verwandlung der Welt dahin ist, dass Gott alles in allem sei (vgl. 1 Kor 15, 28). Alle Menschen warten immer schon irgendwie in ihrem Herzen auf eine Veränderung und Verwandlung der Welt. Dies nun ist der zentrale Verwandlungsakt, der allein wirklich die Welt erneuern kann: Gewalt wird in Liebe umgewandelt und so Tod in Leben. Weil er den Tod in Liebe umformt, darum ist der Tod als solcher schon von innen her überwunden und Auferstehung schon in ihm da. Der Tod ist gleichsam von innen verwundet und kann nicht mehr das letzte Wort sein. Das ist sozusagen die Kernspaltung im Innersten des Seins – der Sieg der Liebe über den Hass, der Sieg der Liebe über den Tod. Nur von dieser innersten Explosion des Guten her, das das Böse überwindet, kann dann die Kette der Verwandlungen ausgehen, die allmählich die Welt umformt. Alle anderen Veränderungen bleiben oberflächlich und retten nicht. Darum sprechen wir von Erlösung: Das zuinnerst Notwendige ist geschehen, und wir können in diesen Vorgang hineintreten. Jesus kann seinen Leib austeilen, weil er wirklich sich selber gibt.

Diese erste grundlegende Verwandlung von Gewalt in Liebe, von Tod in Leben zieht dann die weiteren Verwandlungen nach sich. Brot und Wein werden sein Leib und sein Blut. Aber an dieser Stelle darf die Verwandlung nicht Halt machen, hier muss sie erst vollends beginnen. Leib und Blut Jesu Christi werden uns gegeben, damit wir verwandelt werden. Wir selber sollen Leib Christi werden, blutsverwandt mit ihm. Wir essen alle das eine Brot. Das aber heißt: Wir werden untereinander eins gemacht. Anbetung wird, so sagten wir, Vereinigung. Gott ist nicht mehr bloß uns gegenüber, der ganz Andere. Er ist in uns selbst und wir in ihm. Seine Dynamik durchdringt uns und will von uns auf die anderen und auf die Welt im Ganzen übergreifen, dass seine Liebe wirklich das beherrschende Maß der Welt werde. Ich finde diesen neuen Schritt, den das Abendmahl uns geschenkt hat, sehr schön angedeutet im Unterschied zwischen dem griechischen und dem lateinischen Wort für Anbetung. Das griechische Wort heißt proskynesis. Es bedeutet den Gestus der Unterwerfung, die Anerkennung Gottes als unseres wahren Maßstabes, dessen Weisung wir folgen. Es bedeutet, dass Freiheit nicht bedeutet, sich auszuleben und für autonom zu halten, sondern sich nach dem Maß der Wahrheit und des Guten zu richten und so selbst wahr und gut zu werden. Dieser Gestus ist notwendig, auch wenn unser Freiheitsstreben ihm zunächst entgegensteht. Aber uns zueignen können wir ihn erst ganz in der zweiten Stufe, die sich im Abendmahl eröffnet. Das lateinische Wort für Anbetung heißt ad-oratio – Berührung von Mund zu Mund, Kuss, Umarmung und so im tiefsten Liebe. Aus Unterwerfung wird Einung, weil der, dem wir uns unterwerfen, die Liebe ist. So wird Unterwerfung sinnvoll, weil sie uns nicht Fremdes auferlegt, sondern uns freimacht zum Innersten unserer selbst.

Kehren wir noch einmal zum Letzten Abendmahl zurück. Das Neue, das da geschah, lag in der neuen Tiefe des alten Segensgebetes Israels, das nun zum Wort der Verwandlung wird und uns die Teilhabe an der "Stunde" Christi schenkt. Nicht das Pascha-Mahl zu wiederholen, hat Jesus uns aufgetragen; es ist ja auch ein Jahresfest, das man nicht beliebig wiederholen kann. Er hat uns aufgetragen, in "seine Stunde" einzutreten. In sie treten wir ein durch das Wort der heiligen Macht der Verwandlung, die durch das Preisgebet geschieht, das uns in die Kontinuität mit Israel und der ganzen Heilsgeschichte Gottes stellt und uns zugleich das Neue schenkt, auf das dieses Gebet von innen her wartete. Dieses Gebet – die Kirche nennt es Hochgebet – konstituiert Eucharistie. Es ist Wort der Macht, das die Gaben der Erde auf ganz neue Weise in die Selbstgabe Gottes verwandelt und uns in diesen Prozess der Verwandlung hineinzieht. Deswegen nennen wir dieses Geschehen Eucharistie, was die Übersetzung des hebräischen Wortes beracha ist – Dank, Preisung, Segen und so vom Herrn her Verwandlung: Gegenwart seiner "Stunde". Die "Stunde" Jesu ist die Stunde, in der die Liebe siegt. Das heißt: Gott hat gesiegt, denn er ist die Liebe. Die „Stunde" Jesu will unsere Stunde werden und wird es, wenn wir uns durch die Feier der heiligen Eucharistie in den Prozess der Verwandlungen hineinziehen lassen, um die es dem Herrn geht. Eucharistie muss Mitte unseres Lebens werden. Es ist nicht Positivismus oder Machtwille, wenn die Kirche uns sagt, dass zum Sonntag die Eucharistie gehört. Am Ostermorgen haben zuerst die Frauen, dann die Jünger den Auferstandenen sehen dürfen. So wussten sie von da an, dass nun der erste Wochentag, der Sonntag, sein Tag ist. Der Tag des Schöpfungsbeginns wird zum Tag der Erneuerung der Schöpfung. Schöpfung und Erlösung gehören zusammen. Deswegen ist der Sonntag so wichtig. Es ist schön, dass in vielen Kulturen heute der Sonntag ein freier Tag ist oder gar mit dem Samstag ein so genanntes freies Wochenende bildet. Aber diese freie Zeit bleibt leer, wenn Gott nicht darin vorkommt. Liebe Freunde! Manchmal ist es vielleicht im ersten Augenblick unbequem, am Sonntag auch die heilige Messe einzuplanen. Aber ihr werdet sehen, dass gerade das der Freizeit erst die rechte Mitte gibt. Lasst euch nicht abbringen von der sonntäglichen Eucharistie, und helft auch den anderen, dass sie sie entdecken. Damit von ihr die Freude kommt, die wir brauchen, müssen wir sie natürlich auch immer mehr von innen verstehen und lieben lernen. Mühen wir uns darum – es lohnt sich. Entdecken wir den inneren Reichtum des Gottesdienstes der Kirche und seine wahre Größe: dass da nicht wir selber uns allein ein Fest machen, sondern dass der lebendige Gott selbst uns ein Fest gibt. Mit der Liebe zur Eucharistie werdet ihr auch das Sakrament der Versöhnung neu entdecken, in der Gottes verzeihende Güte immer wieder einen Neubeginn in unserem Leben möglich macht.

Wer Christus entdeckt hat, muss andere zu ihm führen. Eine große Freude kann man nicht für sich selbst behalten. Man muss sie weitergeben. Heute gibt es in großen Teilen der Welt eine merkwürdige Gottvergessenheit. Es scheint auch ohne ihn zu gehen. Aber zugleich gibt es auch ein Gefühl der Frustration, der Unzufriedenheit an allem und mit allem: Das kann doch nicht das Leben sein! In der Tat nicht. Und so gibt es zugleich mit der Gottvergessenheit auch so etwas wie einen Boom des Religiösen. Ich will nicht alles schlecht machen, was da vorkommt. Es kann auch ehrliche Freude des Gefundenhabens dabei sein. Aber weithin wird doch Religion geradezu zum Marktprodukt. Man sucht sich heraus, was einem gefällt, und manche wissen, Gewinn daraus zu ziehen. Aber die selbstgesuchte Religion hilft uns im letzten nicht weiter. Sie ist bequem, aber in der Stunde der Krise lässt sie uns allein. Helft den Menschen, den wirklichen Stern zu entdecken, der uns den Weg zeigt: Jesus Christus. Versuchen wir selber, ihn immer besser kennen zu lernen, damit wir überzeugend auch andere zu ihm führen können. Deswegen ist die Liebe zur Heiligen Schrift so wichtig, und deswegen ist es wichtig, den Glauben der Kirche zu kennen, in dem uns die Schrift aufgeschlüsselt wird: Es ist der Heilige Geist, der die Kirche in ihrem wachsenden Glauben immer weiter in die Tiefe der Wahrheit eingeführt hat und einführt (vgl. Joh 16,13). Papst Johannes Paul II. hat uns ein wunderbares Werk geschenkt, in dem der Glaube der Jahrhunderte zusammenfassend dargelegt ist: den Katechismus der katholischen Kirche. Ich selber konnte vor kurzem das Kompendium dieses Katechismus der Öffentlichkeit vorstellen, das auch auf Wunsch des heimgegangenen Papstes erstellt wurde. Es sind zwei Grundbücher, die ich euch allen ans Herz legen möchte.

Natürlich reichen Bücher allein nicht aus. Bildet Gemeinschaften aus dem Glauben heraus. In den letzten Jahrzehnten sind Bewegungen und Gemeinschaften entstanden, in denen die Kraft des Evangeliums sich lebendig zu Worte meldet. Sucht Gemeinschaft im Glauben, Weggefährten, die gemeinsam die große Pilgerstraße weitergehen, die uns die Weisen aus dem Orient zuerst gezeigt haben. Das Spontane der neuen Gemeinschaften ist wichtig; aber wichtig ist auch, dabei die Gemeinschaft mit dem Papst und den Bischöfen zu halten, die uns garantieren, dass wir nicht Privatwege suchen, sondern wirklich in der großen Familie Gottes leben, die der Herr mit den zwölf Aposteln begründet hat.

Noch einmal muss ich zur Eucharistie zurückkommen. "Weil wir ein Brot sind, sind wir viele auch ein Leib", sagt der heilige Paulus (1 Kor 10, 17). Er will damit sagen: Weil wir den gleichen Herrn empfangen und er uns aufnimmt, in sich hineinzieht, sind wir auch untereinander eins. Das muss sich im Leben zeigen. Es muss sich zeigen in der Fähigkeit des Vergebens. Es muss sich zeigen in der Sensibilität für die Nöte des anderen. Es muss sich zeigen in der Bereitschaft zu teilen. Es muss sich zeigen im Einsatz für den Nächsten, den nahen wie den äußerlich fernen, der uns angeht. Heute gibt es Formen des Volontariats, Gestalten des gegenseitigen Dienens, die gerade unsere Gesellschaft dringend braucht. Wir dürfen zum Beispiel die alten Menschen nicht ihrer Einsamkeit überlassen, an den Leidenden nicht vorbeigehen. Wenn wir von Christus her denken und leben, dann gehen uns die Augen auf, und dann leben wir nicht mehr für uns selber dahin, sondern dann sehen wir, wo und wie wir gebraucht werden. Wenn wir so leben und handeln, merken wir alsbald, dass es viel schöner ist, gebraucht zu werden und für die anderen da zu sein, als nur nach den Bequemlichkeiten zu fragen, die uns angeboten werden. Ich weiß, dass ihr als junge Menschen das Große wollt, dass ihr euch einsetzen wollt für eine bessere Welt. Zeigt es den Menschen, zeigt es der Welt, die gerade auf dieses Zeugnis der Jünger Jesu Christi wartet und zuallererst durch das Zeichen Eurer Liebe den Stern entdecken kann, dem wir folgen.

Gehen wir voran mit Christus und leben wir unser Leben als wirkliche Anbeter Gottes. Amen.

© Copyright 2005 - Libreria Editrice Vaticana

 
 

Zwei

APOSTOLISCHE REISE NACH KÖLN
ANLÄSSLICH DES XX. WELTJUGENDTAGES

VIGIL MIT DEN JUGENDLICHEN AUF DEM MARIENFELD

ANSPRACHE VON BENEDIKT XVI.

Köln, Marienfeld
Samstag, 20. August 2005

 
 

Liebe Jugendliche!

Auf unserem Pilgerweg mit den geheimnisvollen Weisen aus dem Orient sind wir jetzt an der Stelle angelangt, die uns Matthäus in seinem Evangelium so beschreibt: "Und sie gingen in das Haus (über dem der Stern stehen geblieben war) und sahen das Kind und Maria, seine Mutter; da fielen sie nieder und beteten es an" (Mt 2, 11). Der äußere Weg dieser Männer war zu Ende. Sie waren an ihrem Ziel. Aber an dieser Stelle beginnt für sie ein neuer Weg, eine innere Pilgerschaft, die ihr ganzes Leben ändert. Denn sie hatten sich diesen neugeborenen König gewiss anders vorgestellt. Sie hatten ja in Jerusalem Halt gemacht und beim dortigen König nach dem verheißenen Königskind gefragt. Sie wussten, dass die Welt in Unordnung war, und deswegen war ihr Herz unruhig geblieben. Sie waren gewiss, dass es Gott gebe, einen gerechten und gütigen Gott. Und sie hatten wohl auch von den großen Prophezeiungen gehört, in denen die Propheten Israels einen König vorhersagten, der im innersten Einklang mit Gott stehen und von ihm her die Welt in Ordnung bringen würde. Diesen König waren sie suchen gegangen: Sie waren im tiefsten auf der Suche nach dem Recht, nach der Gerechtigkeit, die von Gott kommen musste und wollten diesem König zu Diensten sein, sich ihm zu Füßen werfen und so selbst der Erneuerung der Welt dienen. Sie gehörten zu denen, die "Hunger und Durst haben nach der Gerechtigkeit" (Mt 5, 6). Diesem Hunger und Durst waren sie mit ihrer Pilgerschaft gefolgt – sie waren Pilger zur Gerechtigkeit, die sie von Gott erwarteten und in deren Dienst sie selber treten wollten.

Auch wenn die anderen Menschen, die zuhause Gebliebenen, sie für Fantasten und Träumer halten mochten – sie waren durchaus Realisten und wussten, dass zur Änderung der Welt Macht gehört. Deshalb konnten sie das Kind der Verheißung zunächst nur im Königspalast suchen. Aber nun beugen sie sich vor einem Kind armer Leute, und sehr bald erfuhren sie, dass Herodes – der König, den sie aufgesucht hatten – mit seiner Macht ihm nachstellen würde und dass der Familie nur die Flucht und das Exil verblieben. Der neue König, den sie anbeteten, war ganz anders, als sie erwartet hatten. So mussten sie lernen, dass Gott anders ist, als wir ihn gewöhnlich uns vorstellen. Nun begann ihre innere Wanderung. Sie begann in dem Augenblick, in dem sie sich vor diesem Kind niederwarfen und es als den verheißenen König anerkannten. Aber diese freudigen Gesten mussten sie erst innerlich einholen.

Sie mussten ihren Begriff von Macht, von Gott und vom Menschen ändern und darin sich selbst ändern. Sie sahen nun: Die Macht Gottes ist anders als die Macht der Mächtigen der Welt. Die Art, wie Gott wirkt, ist anders als wir es uns ausdenken und ihm gerne vorschreiben möchten. Gott tritt in dieser Welt nicht in Konkurrenz zu den weltlichen Formen der Macht. Er stellt nicht seine Divisionen anderen Divisionen gegenüber. Er schickt Jesus auf dem Ölberg nicht 12 Legionen Engel zu Hilfe (vgl. Mt 26, 53). Er stellt der lauten, auftrumpfenden Macht dieser Welt die wehrlose Macht der Liebe gegenüber, die am Kreuz – und dann in der Geschichte immer wieder – unterliegt und doch das Neue, das Göttliche ist, das nun dem Unrecht entgegentritt und Gottes Reich heraufführt. Gott ist anders – das erkennen sie nun. Und das bedeutet, dass sie nun selbst anders werden, Gottes Art erlernen müssen.

Sie waren gekommen, sich in den Dienst dieses Königs zu stellen, ihr Königtum nach dem Seinen auszurichten. Das war der Sinn ihrer Huldigungsgebärde, ihrer Anbetung. Zu ihr gehörten auch die Geschenke – Gold, Weihrauch, Myrre – Gaben, die man einem für göttlich angesehenen König spendete. Anbetung hat einen Inhalt, und zu ihr gehört auch eine Gabe. Die Männer aus dem Orient waren durchaus auf der richtigen Spur, als sie mit der Gebärde der Anbetung dieses Kind als ihren König anerkennen wollten, in dessen Dienst sie ihre Macht und ihre Möglichkeiten zu stellen gedachten. Sie wollten durch den Dienst für ihn und die Gefolgschaft mit ihm der Sache der Gerechtigkeit, des Guten in der Welt dienen. Und da hatten sie recht. Aber nun lernen sie, dass das nicht einfach durch Befehle und von Thronen herunter geschehen konnte. Nun lernen sie, dass sie sich selber geben müssen – kein geringeres Geschenk verlangt dieser König. Nun lernen sie, dass ihr Leben von der Weise geprägt sein muss, wie Gott Macht ausübt und wie Gott selber ist: Sie müssen Menschen der Wahrheit, des Rechts, der Güte, des Verzeihens, der Barmherzigkeit werden. Sie werden nicht mehr fragen: Was bringt das für mich, sondern sie müssen nun fragen: Womit diene ich der Gegenwart Gottes in der Welt. Sie müssen lernen, sich zu verlieren und gerade so sich zu finden. Indem sie weggehen von Bethlehem, müssen sie auf der Spur des wahren Königs bleiben, in der Nachfolge Jesu.

Liebe Freunde, fragen wir uns, was das alles für uns bedeutet. Denn was wir eben über die andere Art Gottes gesagt haben, die unsere Lebensart bestimmen soll, klingt uns schön, aber es bleibt doch blass und unbestimmt. Deswegen hat Gott uns Beispiele geschenkt. Die Weisen aus dem Morgenland sind nur die ersten einer langen Prozession von Menschen, die nach dem Stern Gottes mit ihrem Leben Ausschau gehalten, den Gott gesucht haben, der uns Menschen nahe ist und uns den Weg zeigt. Es ist die große Schar der Heiligen, der bekannten und der unbekannten, in denen der Herr das Evangelium die Geschichte hindurch aufgeblättert hat und aufblättert. In ihrem Leben kommt wie in einem großen Bilderbogen der Reichtum des Evangeliums zum Vorschein. Sie sind die Lichtspur Gottes, die er selbst durch die Geschichte gezogen hat und zieht. Mein verehrter Vorgänger Papst Johannes Paul II. hat eine große Schar von Menschen vergangener und naher Zeiten selig- und heilig gesprochen. Er wollte uns in diesen Gestalten zeigen, wie es geht, ein Christ zu sein; wie es geht, das Leben recht zu machen – nach der Weise Gottes zu leben. Die Seligen und Heiligen waren Menschen, die nicht verzweifelt nach ihrem eigenen Glück Ausschau hielten, sondern einfach sich geben wollten, weil sie vom Licht Jesu Christi getroffen waren. Und so zeigen sie uns den Weg, wie man glücklich wird, wie man das macht, ein Mensch zu sein. Im Auf und Ab der Geschichte waren sie die wirklichen Erneuerer, die immer wieder die Geschichte aus den dunklen Tälern herausgeholt haben, in denen sie immer neu zu versinken droht und immer wieder so viel Licht in sie brachten, dass man dem Wort Gottes, wenn vielleicht auch unter Schmerzen, zustimmen kann, der am Ende des Schöpfungswerkes gesagt hatte: Es ist gut. Denken wir nur an Gestalten wie Sankt Benedikt, wie Franz von Assisi, wie Teresa von Avila, Ignatius von Loyola, Karl Borromäus, an die Ordensgründer des 19. Jahrhunderts, die der Sozialen Bewegung ihr Herz gegeben haben oder an Heilige unserer Zeit – Maximilian Kolbe, Edith Stein, Mutter Teresa, Pater Pio. Wenn wir diese Gestalten ansehen, dann lernen wir, was „anbeten" heißt und was es heißt, nach den Maßstäben des Kindes von Bethlehem, den Maßstäben Jesu Christi und Gottes selbst zu leben.

Die Heiligen sind die wahren Reformer, hatten wir gesagt. Ich möchte es nun noch radikaler ausdrücken: Nur von den Heiligen, nur von Gott her kommt die wirkliche Revolution, die grundlegende Änderung der Welt. Wir haben im abgelaufenen Jahrhundert die Revolutionen erlebt, deren gemeinsames Programm es war, nicht mehr auf Gott zu warten, sondern die Sache der Verfassung der Welt ganz selbst in die Hände zu nehmen. Und wir haben gesehen, dass damit immer ein menschlicher, ein parteilicher Standpunkt zum absoluten Maßstab genommen wurde. Das Absolutsetzen dessen, was nicht absolut, sondern relativ ist, heißt Totalitarismus. Es macht den Menschen nicht frei, sondern entehrt ihn und versklavt ihn. Nicht die Ideologien retten die Welt, sondern allein die Hinwendung zum lebendigen Gott, der unser Schöpfer, der Garant unserer Freiheit, der Garant des wirklich Guten und Wahren ist. Die wirkliche Revolution besteht allein in der radikalen Hinwendung zu Gott, der das Maß des Gerechten und zugleich die ewige Liebe ist. Und was könnte uns denn retten wenn nicht die Liebe?

Liebe Freunde! Lasst mich nur noch zwei kurze Gedanken anfügen. Von Gott reden viele; im Namen Gottes wird auch Hass gepredigt und Gewalt ausgeübt. Deswegen kommt es darauf an, das wahre Antlitz Gottes zu finden. Die Weisen aus dem Orient haben es gefunden, als sie sich vor dem Kind in Bethlehem beugten. "Wer mich sieht, sieht den Vater", hat Jesus zu Philippus gesagt (Joh 14, 9). In Jesus Christus, der sich für uns das Herz hat durchbohren lassen, ist uns das wahre Gesicht Gottes erschienen. Ihm folgen wir mit der großen Schar derer, die uns da vorangegangen sind. Dann gehen wir recht.

Das bedeutet, dass wir uns nicht einen privaten Gott und nicht einen privaten Jesus zurechtmachen, sondern dem Jesus glauben, vor dem Jesus uns beugen, den uns die Heiligen Schriften zeigen und der sich in der großen Prozession der Gläubigen, die wir Kirche nennen, als lebendig, als immer gleichzeitig mit uns und zugleich immer uns voraus zeigt. An der Kirche kann man sehr viel Kritik üben. Wir wissen es, und der Herr hat es uns gesagt: Sie ist ein Netz mit guten und schlechten Fischen, ein Acker mit Weizen und Unkraut. Papst Johannes Paul II., der uns in den vielen Seligen und Heiligen das wahre Gesicht der Kirche gezeigt hat, hat auch um Verzeihung gebeten für das, was durch das Handeln und Reden von Menschen der Kirche an Bösem in der Geschichte geschehen ist. So hält er auch uns selber den Spiegel vor und ruft uns auf, mit all unseren Fehlern und Schwächen in die Prozession der Heiligen einzutreten, die mit den Weisen aus dem Orient begonnen hat. Im Grund ist es doch tröstlich, dass es Unkraut in der Kirche gibt: In all unseren Fehlern dürfen wir hoffen, doch noch in der Nachfolge Jesu zu sein, der gerade die Sünder berufen hat. Die Kirche ist wie eine menschliche Familie, und sie ist doch zugleich die große Familie Gottes, durch die er einen Raum der Gemeinschaft und der Einheit quer durch die Kontinente, durch die Kulturen und Nationen legt. Deswegen freuen wir uns, dass wir zu dieser großen Familie gehören; dass wir Geschwister und Freunde haben in aller Welt. Wir erleben es hier in Köln, wie schön es ist, einer welt-weiten Familie anzugehören, die Himmel und Erde, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und alle Teile der Erde umspannt. In dieser großen Weggemeinschaft gehen wir mit Christus, gehen wir mit dem Stern, der die Geschichte erleuchtet.

"Sie gingen in das Haus und sahen das Kind und Maria, seine Mutter; da fielen sie nieder und beteten es an" (Mt 2, 11). Liebe Freunde – das ist nicht eine weit entfernte, lang vergangene Geschichte. Das ist Gegenwart. Hier in der heiligen Hostie ist ER vor uns und unter uns. Wie damals verhüllt er sich geheimnisvoll in heiligem Schweigen, und wie damals offenbart er gerade so Gottes wahres Gesicht. Er ist für uns Weizenkorn geworden, das in die Erde fällt und stirbt und Frucht bringt bis zum Ende der Zeiten (vgl. Joh 12, 24). Er ist da wie damals in Bethlehem. Er lädt uns ein zu der inneren Wanderschaft, die Anbetung heißt. Machen wir uns jetzt auf diesen inneren Weg und bitten wir ihn, dass er uns führe. Amen.

© Copyright 2005 - Libreria Editrice Vaticana

 
 

Drei


APOSTOLISCHE REISE NACH KÖLN
ANLÄSSLICH DES XX. WELTJUGENDTAGES

BEGEGNUNG MIT DEN DEUTSCHEN BISCHÖFEN

ANSPRACHE VON BENEDIKT XVI.

Köln, Erzbischöfliches Palais
Sonntag, 21. August 2005

 
 

Liebe Brüder im Bischofsamt!

Ich danke dem Herrn, der mir am Ende dieses XX. Weltjugendtags die Freude einer Begegnung mit Ihnen hier auf Deutschem Boden schenkt. Mir scheint, wir dürfen sagen, dass die Vorsehung mit ihren für uns erkennbaren Fügungen dieser Tage nicht nur mir, dem Nachfolger Petri, eine Ermutigung schenken, sondern auch der Kirche in diesem Land und vor allem Ihnen, ihren Hirten, ein Zeichen der Hoffnung bieten wollte. Allen sage ich erneut meinen tief empfundenen Dank für ihren Einsatz bei der Vorbereitung dieses Ereignisses, insbesondere Kardinal Joachim Meisner und seinen Weihbischöfen, sowie dem Präsidenten der deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, und allen seinen Mitarbeitern.

Wie ich schon heute Morgen am Ende der großen Eucharistiefeier auf dem Marienfeld sagte, war Deutschland in diesen Tagen Zeuge einer eindrucksvollen Wallfahrt, und zwar nicht irgendeiner Wallfahrt, sondern einer Wallfahrt von Jugendlichen! Dieses Ereignis, zu dessen Vorbereitung die Diözese Köln und Sie alle unter Aufbringung aller Kräfte beigetragen haben, steht uns jetzt vor Augen – welch ein Grund zu Dankbarkeit gegenüber Gott, zu Nachdenken und erneutem Einsatz! Papst Johannes Paul II., der von uns allen so geliebte Initiator der Weltjugendtage, betonte gern, dass in dieser Art von Wallfahrt die Jugendlichen die Protagonisten sind und der Papst ihnen gewissermaßen folgt. Eine scherzhafte Bemerkung, die jedoch eine tiefe Wahrheit in sich birgt: Die Jugendlichen, die sich auf die Suche nach einer Fülle des Lebens begeben, führen trotz ihrer Schwächen und Fehler die Hirten dazu, ihre Fragen anzuhören und sich darum zu bemühen, dass die einzig wahre Antwort, nämlich die Antwort Christi, ihnen verständlich wird. Uns obliegt es also, dieses Geschenk, das Gott der Kirche in Deutschland bereitet hat, nutzbar zu machen, indem wir seine Herausforderung annehmen und seine Möglichkeiten auswerten.

Es ist wichtig, hervorzuheben, dass dieses Ereignis, auch wenn es außerordentlich ist, nicht isoliert dasteht. Der Weltjugendtag in Köln ist nicht – wie man so sagt – "eine Kathedrale in der Wüste". Ich denke nämlich an die vielen Gaben, welche die Kirche in Deutschland in reichem Maße besitzt. Es ist mir eine Freude, sie vor Ihnen kurz aufzuzählen, und zwar in dem Geist des Lobes und des Dankes, der diese Gnadentage beseelt hat. Nicht wenige Menschen in diesem Land leben ihren Glauben in vorbildlicher Weise, mit einer großen Liebe zur Kirche, zu ihren Hirten und zum Nachfolger Petri. Zahlreiche Gläubige übernehmen freiwillig sogar anspruchsvolle Verantwortungen im Leben der Diözese und der Pfarrei, in Vereinigungen und Bewegungen, besonders zu Gunsten der Jugendlichen. Viele Priester, Ordensleute und Laien erfüllen treu ihren Dienst in oft schwierigen pastoralen Situationen. Beachtlich ist auch die Großzügigkeit der deutschen Katholiken gegenüber den Ärmsten. Viele deutsche Donum-Fidei-Priester und Missionare sind in fernen Ländern beschäftigt. Durch vielfältige Institutionen ist die katholische Kirche im öffentlichen Leben gegenwärtig. Bemerkenswert ist die von zahlreichen karitativen Einrichtungen geleistete Arbeit: von Misereor, Adveniat, Missio, und Renovabis bis zur Caritas auf Diözesan- und Pfarrei-Ebene. Weitläufig ist auch das erzieherische Wirken der katholischen Schulen und anderer katholischer Einrichtungen und Organisationen zu Gunsten der Jugend. Das sind einige, wenn auch nicht erschöpfende, so doch bezeichnende Hinweise, die sozusagen das Bild einer lebendigen Kirche skizzieren – der Kirche, die uns im Glauben gezeugt hat und der zu dienen wir die Ehre und die Freude haben.

Wir wissen, dass es auf dem Gesicht dieser Kirche leider auch Falten gibt, Schatten, die ihren Glanz verdunkeln. Aus Liebe und mit Liebe wollen wir uns auch sie in diesem Augenblick des Feierns und des Dankens vergegenwärtigen. Verweltlichung und Entchristianisierung schreiten unaufhörlich fort. Der Einfluss der katholischen Ethik und Moral wird immer geringer. Nicht wenige Menschen verlassen die Kirche oder akzeptieren, wenn sie in ihr bleiben, nur einen Teil der katholischen Lehre. Besorgnis erregend bleibt die religiöse Situation im Osten, wo die Mehrheit der Bevölkerung nicht getauft ist und keinerlei Kontakt zur Kirche hat. Wir erkennen in diesen Gegebenheiten ebenso viele Herausforderungen, und Sie selbst sind sich dessen am besten bewusst, wie aus Ihrem Pastoralbrief vom 21. September 2004 anlässlich des 1250. Jahrestags des Martyriums des heiligen Bonifatius hervorgeht. Darin bestätigen Sie mit den Worten des Jesuitenpaters Alfred Delp: "Wir sind zum Missionsland geworden." Da ich selbst aus diesem mir so lieben Land komme, fühle ich mich von seinen Problemen besonders berührt. So möchte ich Ihnen heute meine Zuneigung und meine Solidarität kundtun, zusammen mit der des gesamten Bischofskollegiums, und Sie ermutigen, vereint und zuversichtlich in Ihrer Sendung standzuhalten. Die Kirche in Deutschland muss immer missionarischer werden und sich bemühen, Wege zu finden, um den kommenden Generationen den Glauben zu vermitteln.

Das ist das Situationsbild, das der Weltjugendtag uns vor Augen hält: Er lädt uns ein, unseren Blick in die Zukunft zu richten. Die Jugendlichen sind für die Kirche und insbesondere für die Hirten, die Eltern und die Erzieher ein lebendiger Aufruf zum Glauben und zur Hoffnung. Mein verehrter Vorgänger hat bei der Wahl des Themas für diesen XX. Weltjugendtag – "Wir sind gekommen, um ihn anzubeten" (Mt 2,2) – diesen Aufruf bekräftigt. Er hat eine klare Orientierungslinie für den Weg der Jugendlichen vorgezeichnet: Er hat sie angeregt, Christus zu suchen und sich dabei die Sterndeuter zum Vorbild zu nehmen; er hat sie eingeladen, dem Stern zu folgen, der ein Widerschein Christi am Firmament des persönlichen und gesellschaftlichen Lebens ist. Mit seinem liebenswürdigen und starken Beispiel hat er sie erzogen, vor dem Mensch gewordenen Gott, dem Sohn der Jungfrau Maria, niederzuknien und in ihm den Erlöser des Menschen zu erkennen. Dieses selbe Vorbild, auf das er die Jugendlichen verwies, hat Johannes Paul II. auch den Hirten angeboten, um ihrem Dienst unter den nachwachsenden Generationen und in der gesamten Familie der Kirche die Richtung zu weisen. Tatsächlich ist dieser Weg, diese Wahrheit und dieses Leben – das, was jeder Mensch, und in beispielhafter Weise der Jugendliche, sucht – uns Hirten von Christus selbst anvertraut worden, der uns zu seinen Zeugen und zu Dienern seines Evangeliums gemacht hat (vgl. Mt 28,18-20). Darum dürfen wir weder das Suchen gering schätzen, noch die Wahrheit verbergen, sondern die fruchtbare Spannung, die zwischen beiden Polen herrscht, beibehalten: Es ist eine Spannung, die der Natur des heutigen Menschen zutiefst entspricht. Mit dem Licht und der Kraft dieser Gabe, nämlich des Evangeliums, das der Heilige Geist unaufhörlich belebt und aktuell werden lässt, können wir Christus ohne Furcht verkünden und alle auffordern, keine Angst zu haben, ihm ihr Herz zu öffnen, denn wir sind überzeugt, dass er die Fülle des Lebens und des Glücks ist.

Das bedeutet, zukunftsoffene Kirche zu sein, als solche reich an Verheißungen für die nachwachsenden Generationen. Die jungen Leute suchen nämlich keine künstlich sich jung gebende Kirche, sondern eine Kirche, die jung ist im Geist, eine Kirche die Christus, den Neuen Menschen, durchscheinen lässt. Genau das ist es, was wir uns heute zur Aufgabe machen wollen, in diesem wirklich einzigartigen Augenblick – einzigartig, insofern er ein großes Jugendereignis abschließt, das uns drängt, auf das Morgen der Kirche und der Gesellschaft zu schauen. In diesem positiven, hoffnungsvollen Licht können wir sogar die schwierigsten Fragen, die sich heute der kirchlichen Gemeinschaft in Deutschland stellen, zuversichtlich aufgreifen. Wieder einmal erweisen sich die Jugendlichen als eine heilsame Provokation für uns Hirten, weil sie von uns erwarten, dass wir gradlinig, einig und mutig sind. Wir müssen sie unsererseits zur Geduld erziehen, zum Unterscheidungsvermögen und zu einem gesunden Realismus. Jedoch ohne falsche Kompromisse, um das Evangelium nicht zu verwässern.

Liebe Brüder, die Erfahrung dieser zwanzig Jahre hat uns gelehrt, dass jeder Weltjugendtag in gewissem Sinne einen Neuanfang für die Jugendpastoral des jeweiligen Gastgeber-Landes darstellt. Die Vorbereitung des Ereignisses mobilisiert Menschen und Kräfte, und die Feier selbst bringt eine Welle der Begeisterung mit sich, die es bestmöglich zu unterstützen gilt. Es ist ein enormes Potenzial an Energie, das noch weiter zunehmen kann, wenn es sich im Land ausbreitet. Ich denke an die Pfarreien, die Vereinigungen, die Bewegungen; ich denke an die Priester, die Ordensleute, die Katecheten und an die in der Jugendseelsorge Tätigen. Ich nehme an, dass in Deutschland sehr viele in dieses Geschehen einbezogen waren. Ich bete, dass für jeden von ihnen damit ein Wachsen in der Liebe zu Christus und zur Kirche verbunden sein möge, und ermutige alle, gemeinsam die pastorale Arbeit unter den jungen Generationen mit einem erneuerten Geist des Dienens voranzutreiben.

Der größte Teil der deutschen Jugendlichen lebt in guten sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen, doch fehlt es nicht an schwierigen Situationen. In allen sozialen Schichten nimmt die Zahl der Jugendlichen aus zerbrochenen Familien zu. Leider hat in Deutschland die Jugendarbeitslosigkeit zugenommen. Außerdem sind viele junge Männer und Mädchen orientierungslos, ohne gültige Antworten auf die Fragen nach dem Sinn von Leben und Tod, und auf die Fragen in Bezug auf ihre Gegenwart und ihre Zukunft. Viele Angebote der modernen Gesellschaft führen ins Leere, und zahlreiche junge Menschen enden im "Fließsand" des Alkohols und der Drogen oder in den Spiralen extremistischer Gruppierungen. Ein Teil der deutschen Jugendlichen, vor allem im Osten, hat die Frohbotschaft Jesu Christi nie persönlich kennen gelernt. Selbst in den traditionell katholischen Gebieten gelingt es dem Religionsunterricht und der Katechese nicht immer, dauerhafte Bindungen der Jugendlichen an die kirchliche Gemeinschaft herzustellen. Darum ist die Kirche in Deutschland darum bemüht, neue Wege zu finden, um die jungen Leute zu erreichen und ihnen Christus zu verkündigen. Der Weltjugendtag ist in dieser Hinsicht immer ein außerordentliches "Laboratorium" (um einen beliebten Ausdruck Johannes’ Pauls II. zu benutzen). Ein Laboratorium auch in Bezug auf Berufungen, denn in diesen Tagen versäumt es der Herr nicht, seinen Ruf kraftvoll im Herzen nicht weniger junger Menschen zu Gehör zu bringen. Ein Ruf, der natürlich angenommen und verinnerlicht werden muss, um tiefe Wurzeln zu schlagen und so gute und dauerhafte Früchte zu tragen. Viele Zeugnisse von Jugendlichen und Ehepaaren beweisen, dass die Erfahrung dieser weltweiten Treffen, wenn sie in einem Weg des Glaubens, der Unterscheidung und des kirchlichen Dienstes fortgesetzt wird, in reife Entscheidungen für ein Leben in der Ehe, im Ordensstand, als Priester oder als Missionar münden kann. In Anbetracht des inzwischen dramatisch werdenden Mangels an Priestern und Ordensleuten auch in Deutschland möchte ich Sie, liebe Brüder, bitten, mit neuem Schwung eine Berufungspastoral voranzutreiben, welche die Pfarreien, die Erziehungszentren und die Familien erreichen kann. Die Jugend- und die Berufungspastoral knüpft unvermeidlich an die Familienpastoral an. Ich sage nichts Neues, wenn ich hervorhebe, dass sich die Familie heute vor vielfältige Probleme und Schwierigkeiten gestellt sieht. Ich bitte Sie herzlich, sich nicht entmutigen zu lassen, sondern vertrauensvoll Ihren Einsatz für die christliche Familie fortzusetzen. Das Ziel, das wir anstreben, ist, dafür zu sorgen, dass die Eheleute im Stande sind, ihre Aufgabe – besonders in der christlichen Erziehung der Kinder und Jugendlichen – in vollem Umfang zu erfüllen.

Eine wichtige Rolle in der Welt der jugendlichen spielen die Vereinigungen und Bewegungen, die zweifellos einen Reichtum darstellen. Die Kirche muss diese Realitäten nutzbar machen und sie zugleich mit pastoraler Weisheit leiten, damit sie mit ihren verschiedenen Gaben auf beste Weise zum Aufbau der Gemeinden beitragen und nie in Konkurrenz zueinander treten, sondern in gegenseitiger Achtung zusammenarbeiten, um in den jungen Leuten die Freude am Glauben, die Liebe zur Kirche und die Leidenschaft für das Reich Gottes zu wecken. Zu diesem Zweck ist es unverzichtbar, dass alle, die mit den Jugendlichen und für sie arbeiten, persönlich überzeugte Zeugen Christi sind, die treu zur Lehre der Kirche stehen. Dasselbe gilt für die katholische Erziehung und die Katechese: Ich bin sicher, dass Sie nicht versäumen werden, aufmerksam darauf zu achten, dass für die Aufgaben in Religionsunterricht und Katechese Personen ausgewählt werden, die entsprechend vorbereitet und dem kirchlichen Lehramt treu sind. Eine wertvolle Hilfe für diese Aufgabe der Erziehung der nachwachsenden Generationen ist sicher das Kompendium des Katechismus der Katholischen Kirche, in dem alle wesentlichen Elemente des Glaubens und der katholischen Morallehre klar und allgemein verständlich zusammenfassend dargestellt sind.

Liebe Brüder im Bischofsamt, so Gott will, werden sich uns noch weitere Gelegenheiten bieten, um die vielen Fragen zu vertiefen, die Ihre und meine pastorale Sorge betreffen. Dieses Mal wollte ich mit Ihnen die Botschaft aufgreifen, die uns die große Wallfahrt der Jugendlichen hinterlassen hat. Mir scheint, dass am Ende dieses Ereignisses die Bitte der jungen Leute an uns im Wesentlichen etwa so lautet: "Wir sind gekommen, um ihn anzubeten. Wir sind ihm begegnet. Helft uns jetzt, seine Jünger und Zeugen zu werden!" Das ist ein anspruchsvoller Aufruf, jedoch für das Herz des Seelsorgers äußerst tröstlich! Möge die Erinnerung an die hier in Köln unter dem Zeichen der Hoffnung verbrachten Tage Ihren, ja unseren Dienst unterstützen. Ich hinterlasse Ihnen meine liebevolle Ermutigung, die zugleich eine herzliche und brüderliche Bitte ist, immer einmütig voranzuschreiten und zu wirken, auf dem Fundament einer Gemeinsamkeit, die in der Eucharistie ihren Höhepunkt und ihre unerschöpfliche Quelle besitzt. Ich vertraue Sie alle Maria an, der Mutter Christi und der Kirche, während ich jedem Einzelnen von Ihnen und Ihren jeweiligen Gemeinschaften aus ganzem Herzen einen besonderen Apostolischen Segen erteile.    

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Vier


APOSTOLISCHE REISE NACH KÖLN
ANLÄSSLICH DES XX. WELTJUGENDTAGES

ÖKUMENISCHES TREFFEN IM ERZBISCHÖFLICHEN SITZ IN KÖLN

ANSPRACHE VON BENEDIKT XVI.

Köln, Erzbischöfliches Palais
Freitag, 19. August 2005

 
 

Liebe Brüder und Schwestern in Christus, unserem gemeinsamen Herrn!

Es erfüllt mich mit Freude, anlässlich meines Besuches in Deutschland Ihnen, den Vertretern der anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften zu begegnen. Ich grüße Sie alle sehr herzlich! Da ich selbst aus diesem Land komme, weiß ich um die Tragik, welche die Glaubensspaltung über viele Menschen und über viele Familien gebracht hat. Auch deshalb habe ich gleich nach meiner Wahl zum Bischof von Rom als Nachfolger des Apostels Petrus den festen Vorsatz geäußert, die Wiedererlangung der vollen und sichtbaren Einheit der Christen zu einer Priorität meines Pontifikats zu erheben. Damit wollte ich bewusst in die Fußstapfen zweier meiner großen Vorgänger treten: Papst Pauls VI., der vor nunmehr über vierzig Jahren das Konzilsdekret über den Ökumenismus, Unitatis redintegratio, unterzeichnete und Johannes’ Pauls II., der dann dieses Dokument zur Richtschnur seines Handelns machte. Deutschland kommt im ökumenischen Dialog eine besondere Bedeutung zu. Es ist nämlich nicht nur das Ursprungsland der Reformation; es ist auch eines der Länder, von denen die ökumenische Bewegung des 20. Jahrhunderts ausging. Infolge der Wanderungsbewegungen des vergangenen Jahrhunderts haben auch orthodoxe und altorientalische Christen in diesem Land eine neue Heimat gefunden. Das hat zweifellos die Gegenüberstellung und den Austausch gefördert. Gemeinsam freuen wir uns festzustellen, dass der Dialog im Laufe der Zeit zu einer Wiederentdeckung der Brüderlichkeit geführt und unter den Christen der verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften ein offeneres und vertrauensvolleres Klima geschaffen hat. Mein verehrter Vorgänger hat in seiner Enzyklika Ut unum sint (1995) gerade das als ein besonders bedeutendes Ergebnis des Dialogs bezeichnet (vgl. 41f; 64).

Die Brüderlichkeit unter den Christen ist nicht einfach ein vages Gefühl, und ebenso wenig entspringt sie aus einer Art Gleichgültigkeit gegenüber der Wahrheit. Sie ist in der übernatürlichen Wirklichkeit der einen Taufe begründet, die uns in den einen Leib Christi einfügt (vgl. 1Kor 12,13; Gal 3,28; Kol 2,12). Gemeinsam bekennen wir Jesus Christus als Gott und Herrn; gemeinsam erkennen wir ihn als einzigen Mittler zwischen Gott und den Menschen an (vgl. 1 Tim 2,5) und unterstreichen unser aller Zugehörigkeit zu ihm (vgl. Unitatis redintegratio, 22; Ut unum sint, 42). Auf dieser Grundlage hat der Dialog seine Früchte gebracht. Ich möchte die Untersuchungen der beiderseitigen Verwerfungen nennen, die von Johannes Paul II. bei seinem ersten Deutschlandbesuch im Jahr 1980 angestoßen wurden, und vor allem die "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre" (1999), die ein Resultat dieser Untersuchungen war und eine Einigung in Grundfragen brachte, die seit dem 16. Jahrhundert Gegenstand von Kontroversen waren. Dankbar anzuerkennen sind auch die Ergebnisse, die in einer Reihe von gemeinsamen Stellungnahmen zu wichtigen Themen wie den Grundfragen zum Schutz des Lebens und zur Förderung von Gerechtigkeit und Frieden bestehen. Ich weiß sehr wohl, dass viele Christen in diesem Land – und nicht nur in diesem – sich weitere konkrete Schritte der Annäherung erwarten. Auch ich erwarte sie. In der Tat, es ist das Gebot des Herrn, aber auch ein Gebot der gegenwärtigen Stunde, den Dialog auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens entschieden weiterzuführen. Das muss natürlich in Wahrhaftigkeit und Realismus geschehen, mit Geduld und Ausdauer in Treue zur Stimme des eigenen Gewissens. Es darf keinen Dialog um den Preis der Wahrheit geben; der Dialog muss in Liebe und in der Wahrheit geführt werden. Ich möchte hier kein Programm für die nun anstehenden Themen des Dialogs entwickeln – das ist Sache der Theologen im Kontakt mit den Bischöfen. Nur eine Anmerkung sei mir gestattet: Die ekklesiologischen Fragen, besonders die Frage des geistlichen Amtes – des Priestertums – sind untrennbar verbunden mit der Frage nach dem Zusammenhang von Schrift und Kirche, nach der Instanz der rechten Auslegung des Gotteswortes und seiner Entfaltung im Leben der Kirche.

Eine dringende Priorität im ökumenischen Dialog bilden die großen ethischen Fragen, die unsere Zeit stellt; hier erwarten die fragenden Menschen von heute mit Recht eine gemeinsame Antwort der Christen. Gottlob gelingt sie in vielen Fällen, aber leider nicht immer. Durch Widersprüche in diesem Bereich verlieren das Zeugnis für das Evangelium und die ethische Orientierung, die wir den Menschen und der Gesellschaft geben müssten, an Kraft und nehmen oft vage Formen an, so dass wir unserer Zeit das nötige Zeugnis schuldig bleiben. Unsere Spaltungen stehen im Kontrast zum Willen Jesu und machen uns vor den Menschen unglaubwürdig.

Worum geht es bei der Wiederherstellung der Einheit aller Christen? Die katholische Kirche erstrebt das Erreichen der vollen sichtbaren Einheit der Jünger Christi, wie sie das Zweite Vatikanische Konzil in verschiedenen Dokumenten definiert hat (vgl. Lumen gentium, 8; 13; Unitatis redintegratio 2; 4 u. a.). Diese Einheit besteht nach unserer Überzeugung unverlierbar in der katholischen Kirche (vgl. Unitatis redintegratio, 4). Sie bedeutet jedoch nicht Einheitlichkeit in allen Ausdrucksformen der Theologie und der Spiritualität, in den liturgischen Formen und in der Disziplin. Einheit in der Vielfalt und Vielfalt in der Einheit: In der Predigt am Hochfest der heiligen Petrus und Paulus am vergangenen 29. Juni habe ich hervorgehoben, dass volle Einheit und wahre Katholizität zusammengehen. Die notwendige Bedingung, damit dieses Miteinander sich verwirklichen kann, ist, dass der Einsatz für die Einheit ständig geläutert und erneuert wird, dass er beständig wächst und reift. Dazu kann der Dialog beitragen. Er ist mehr als ein Gedankenaustausch: er ist ein Austausch von Gaben (vgl. Ut unum sint, 28), in dem die Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften die ihnen eigenen Reichtümer einbringen können (vgl. Lumen gentium, 8; 15; Unitatis redintegratio, 3; 14f; Ut unum sint 10-14). Dank diesem Einsatz kann der Weg Schritt für Schritt fortgesetzt werden bis zum Erreichen der vollen Einheit, wenn schließlich "wir alle zur Einheit im Glauben und in der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen, damit wir zum vollkommenen Menschen werden und Christus in seiner vollendeten Gestalt darstellen" (Eph 4,13). Es ist offensichtlich, dass ein solcher Dialog sich im Grunde nur in einer Atmosphäre wahrhaftiger und angemessener Spiritualität entfalten kann. Allein mit unseren eigenen Kräften können wir die Einheit nicht "machen". Wir können sie nur empfangen als Geschenk des Heiligen Geistes. Darum bildet der geistliche Ökumenismus, das heißt das Gebet, die Umkehr und die Heiligung des Lebens das Herz der ökumenischen Bewegung (vgl. Unitatis redintegratio, 8; Ut unum sint, 15f; 21 u. a.). Man könnte auch sagen: Die beste Form des Ökumenismus besteht darin, nach dem Evangelium zu leben.

Einen tröstlichen Grund zu Optimismus sehe ich in der Tatsache, dass sich gegenwärtig eine Art geistliches "Netzwerk" bildet zwischen Katholiken und Christen der verschiedenen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften: Jeder Einzelne setzt sich ein durch Gebet, Überprüfung des eigenen Lebens, Reinigung des Gedächtnisses und Öffnung in der Nächstenliebe. Der Vater des geistlichen Ökumenismus, Paul Couturier, hat in diesem Zusammenhang von einem "unsichtbaren Kloster" gesprochen, das in seinen Mauern diese für Christus und seine Kirche begeisterten Menschen versammelt. Ich bin überzeugt: Wenn sich eine wachsende Anzahl von Menschen dem Gebet des Herrn, "dass alle eins seien" (Joh 17,21), anschließt, dann wird ein solches Gebet in Jesu Namen nicht ins Leere gehen (vgl. Joh 14,13; 15,7.16 u. a.). Mit der Hilfe von Oben werden wir in den verschiedenen noch offenen Fragen durchführbare Lösungen finden, und die Sehnsucht nach Einheit wird schließlich ihre Erfüllung finden, wann und wie Er will. Ich lade Sie alle ein, gemeinsam mit mir diesen Weg zu gehen.

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Last updated 06.12.07