Freundschaft Bist du ein Freund / eine Freundin?
Die Schulfreundin hat man längst aus den Augen verloren, der
Studienkamerad lebt im Ausland, die ehemals eng verschworene Squashclique ist vor Jahren auseinander gebrochen.
Und die mehr oder weniger zahlreichen Kontakte und Connections widerstehen hartnäckig allen Versuchen,
sie in Freundschaften umzuwandeln. Der Single-Stoßseufzer "Wo sind nur all die guten Männer/Frauen?"
kann in unseren mobilen Zeiten auch auf Freundschaften angewandt werden. Wo sind die Menschen, die uns Freund
oder Freundin sein können? Woher sollen wir wissen, ob jemand wirklich zu uns passt? Gibt es da draußen überhaupt
noch Leute, die an einer dauerhaften Freundschaft mit uns interessiert sind?
Es gibt sie. In jedem Leben und in jedem Umfeld. So lautet die
beruhigende Botschaft der amerikanischen Autorin Lillian Gass. Allerdings würden wir diese Freundschaftsfähigen
häufig nicht erkennen, weil wir nicht wüssten, nach welchen Merkmalen wir Ausschau halten sollen: Was ist ein
"guter" Freund, eine "gute" Freundin? Der Satz "Man sieht nur, was man weiß"
trifft abgewandelt auch auf Freundschaften zu: "Man erkennt potenzielle Freunde nur, wenn man weiß,
wonach man eigentlich sucht."
Wer zu wem passt, das ist natürlich eine äußerst individuelle
Angelegenheit. Dennoch: Es gibt Freundschaftsfaktoren, bestimmte Eigenschaften, die einen Menschen zum Freund
qualifizieren. Diese Faktoren bilden eine Art Raster, das wir an andere Menschen anlegen können, wenn wir auf
der Suche nach Seelenverwandten sind. Selbstverständlich taugen diese Faktoren auch zur Selbstprüfung: Wie
steht es mit unserer eigenen Freundschaftsfähigkeit?
Die 10 wichtigsten Freundschaftsfaktoren
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1. Akzeptanz |
Zum Freund werden kann, wer seine
Mitmenschen respektiert und akzeptiert. Er hat es nicht nötig, andere Personen herabzusetzen. In seiner
Gegenwart fühlt man sich wohl, weil man spürt: "Der nimmt mich so, wie ich bin. Der will mich nicht
ändern oder bevormunden." Weil er Sicherheit vermittelt, gelingt es ihm, dass wir uns von unserer
besten Seite zeigen. Zu solchen Menschen fühlen wir uns automatisch hingezogen, oftmals ohne zu wissen, was
ihre Attraktivität eigentlich ausmacht. |
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2. Interesse |
Eine Freundschaft antragen sollte man nur
einer Person, die nicht in erster Linie an sich selbst interessiert ist. Sie will nicht ständig über sich,
ihren Beruf, ihre Familie, ihre Erfolge sprechen, sondern ist ernsthaft daran interessiert, etwas vom Gegenüber
zu erfahren. Was denkt der andere? Wie lebt er? Welche Standpunkte vertritt er? Wer auf einer Party
selbstgefällig den Entertainer mimt oder sich langatmig über Details aus seinem Leben auslässt, wird nur
selten ein wirklich guter Freund sein. Er ist viel zu selbstzentriert und daran interessiert, dass ihm
andere applaudieren. |
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3. Hilfsbereitschaft |
Ein freundschaftsfähiger Mensch hilft
anderen nicht nur, wenn es ihm gerade in seinen Zeitplan passt oder wenn es ihm persönlich von Nutzen sein
kann. Braucht jemand seine Hilfe wirklich, dann ist er großzügig mit seiner Zeit und seinen Ressourcen. Für
seine Hilfe erwartet er keine Gegenleistung. Er gibt, weil er überzeugt davon ist, dass es seine Aufgabe
ist. Auch sonst geizt er nicht mit Anerkennung und Lob, gleichgültig ob es sich um Kollegen, Freunde,
Familienmitglieder oder Fremde handelt. Spontan kann er zum Beispiel der wildfremden Verkäuferin im
Supermarkt sagen, dass ihm ihr Kleid gefällt. |
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4. Objektivität |
Ein Freund kann nur werden, wer nicht auf Klatsch und Tratsch hört
und sich auch nicht daran beteiligt. Kommt ihm über einen Menschen Negatives zu Ohren, dann versucht er,
sich selbst ein Bild zu verschaffen. Er spricht offen mit den Betroffenen darüber, aber niemals käme es
ihm in den Sinn, über diese Person mit anderen zu sprechen. Im Zweifelsfall verfährt er nach dem Motto
"Wenn man nichts Gutes über einer Menschen sagen kann, sollte man lieber schweigen."
Dieser Mensch verurteilt auch andere nicht, nur weil sie einen
eigenwilligen Lebensstil pflegen oder abweichende Meinungen vertreten. Solange er niemandem damit schadet,
verfährt er nach dem Motto "leben und leben lassen". Weil er sich selbst akzeptiert, fällt es
ihm leicht, die Andersartigkeit anderer zu akzeptieren. Er behandelt seine Mitmenschen so, wie er selbst
behandelt werden möchte.
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5. Aufmerksamkeit |
Gleichgültigkeit und Unaufmerksamkeit sind
Merkmale von Menschen, denen an anderen nicht viel gelegen ist. Wenn man auf Freundschaftssuche ist, sollte
man um sie einen großen Bogen machen. Interessant sind dagegen aufmerksame Menschen. Sie merken sich
Geburtstage, wissen über Vorlieben und Neigungen anderer Bescheid. Eine beiläufige Äußerung wie
"Blau ist meine Lieblingsfarbe" speichern sie ab und werden beim nächsten Geburtstag nicht mit
einer gelben Vase ankommen. |
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6. Verlässlichkeit |
Ein Mensch kann ein guter Freund werden,
wenn er sein Wort hält. Verspricht er, etwas zu erledigen, dann kann man sich darauf verlassen. Wenn er
sagt, er werde pünktlich um 20 Uhr da sein, dann ist er es auch. Doppelte Botschaften sind ihm fremd. Er käme
auch nie auf die Idee, andere zu manipulieren, zu belügen oder zu betrügen. |
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7. Selbstironie |
Was einen Menschen anziehend macht, ist die
Fähigkeit, sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen. Er hält sich nicht für den Nabel der Welt und seine
Ansichten für so spannend, dass er den ganzen Abend darüber reden muss. Er besitzt Humor und die Fähigkeit,
über sich selbst zu lachen. Selbstmitleid ist ihm fremd. Er spricht offen über Niederlagen und versucht,
sie so schnell wie möglich zu überwinden. |
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8. Emotionalität |
Ein guter Freund ist einfühlsam: Er hört
nicht nur auf das, was ein Mensch, der ihm wichtig ist, sagt. Er spürt auch, wie es ihm geht. Merkt er,
dass der andere Hilfe benötigt, dann bietet er seinen Rat an, aber er drängt ihn nicht auf. Umgekehrt
macht er aus seiner eigenen Seelenverfassung kein Geheimnis. Er zeigt, wenn er traurig ist, sagt, wenn er
sich geärgert hat, und informiert über seine Probleme. Niemals würde er aus falschem Stolz Hilfe und
Unterstützung ablehnen. Er kann zugeben, dass er alleine nicht mehr weiter weiß. |
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9. Loyalität |
Ein loyaler Mensch schenkt seine Sympathien
nicht heute dem und morgen dem - je nachdem, woher der Wind weht. Auch wechselt er seine Standpunkte nicht
wie seine Hemden. Dieser Mensch bekennt sich zu seinen Ansichten ebenso wie zu den Menschen, die ihm etwas
bedeuten. Ob in guten oder in schlechten Zeiten, ein loyaler Freund äußert selbstbewusst seine Ansichten,
und wenn es nötig ist, verteidigt er seine Freunde gegen Anfeindungen, Vorwürfe oder Intrigen. Bei einem
loyalen Menschen weiß man immer, woran man ist. Da gibt es kein Taktieren, keine Verstellung, keine
Schmeicheleien und kein Nachdemmundreden. |
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10. Autonomie |
Der gute Freund ist ein Realist: Er weiß, was er
kann und was er nicht kann, er kennt seine Stärken und seine Grenzen. Er macht sich nicht abhängig von der
Meinung oder dem Wohlwollen anderer, sondern weiß, dass er allein verantwortlich ist für sein Leben, seine
Erfolge wie für seine Misserfolge. Er gibt nicht anderen die Schuld, wenn etwas schief läuft, sondern bemüht
sich aus eigener Kraft, die Situation zu verändern. Dieser Mensch lebt nicht in der Vergangenheit, sondern
ist zukunftsorientiert.
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Quellennachweis: PSYCHOLOGIE HEUTE, 26. Jahrgang, Heft
9, Beltz Verlag, 69469 Weinheim
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Last updated
11.01.10
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