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Erwachsensein Titelseite des Hefts 4 / 2001 von "Psychologie heute"
Die schwierige Kunst, ein Erwachsener zu sein

von Ursula Nuber

Ausschnitt aus PSYCHOLOGIE HEUTE,
28. Jahrgang, Heft 4, Beltz Verlag, Weinheim

 


Es gibt keine Erwachsenen mehr, klagen Kulturkritiker, niemand will mehr Verantwortung übernehmen, Spaß ist das vorrangige Lebensziel. In gewisser Weise haben sie Recht: Der "alte" Erwachsene stirbt langsam aus. Der "neue" ist noch in der Planung. Schwierige Zeiten. Kein Wunder, dass uns "Erwachsenen" ab und zu alles zu viel wird.

Was ist das, ein Erwachsener? Ein Mensch, der die Volljährigkeit erreicht hat, der einen Beruf ausübt, eine Eigentumswohnung besitzt, sexuelle Beziehungen unterhält? Der heiratet und eine Familie gründet? Auf dessen Bankkonto regelmäßige Zahlungen eingehen? Diese äußeren Insignien der Erwachsenenwelt reichen nicht mehr aus, um diese Lebensphase ausreichend zu beschreiben.

"Über die Idee des Erwachsenseins herrscht Verwirrung", meint denn auch der Lyriker Robert Bly. Und Frank Pittman stimmt dem zu: "Niemand weiß mehr so recht, was das ist, ein Erwachsener." Eine Lebensphase, die scheinbar automatisch auf Kindheit und Jugend folgt, ist plötzlich alles andere als selbstverständlich.

Was ist passiert? Woher kommt die Verunsicherung? Die Antwort könnte eine Anekdote geben: Ein alter Priester, der in seinem langen Berufsleben viele Beichten gehört hat, wird von einem Novizen gefragt, was er aus den unzähligen Bekenntnissen gelernt habe. Ohne zu zögern, antwortet der Alte: "Es gibt keine Erwachsenen."

Das mag übertrieben sein, doch in der Tendenz hat der alte Priester Recht. Wir wissen heute nicht mehr, was ein Erwachsener ist, weil "es nicht mehr genug wirklich Erwachsene gibt die es uns zeigen könnten", meint Frank Pittman. Die Generationen vor uns - unsere Eltern und Großeltern - sind dazu nicht mehr in der Lage. Denn das, was sie für Erwachsensein hielten und noch halten, ist für uns nicht mehr gültig. Wir müssen heute auf eine ganz neue Art erwachsen sein.

Was also charakterisiert den "neuen" Erwachsenen?

Frederic M. Hudson hat eine umfangreiche Liste von Eigenschaften vorgelegt. Danach ist eine Person erwachsen, wenn sie

bulletüber ein hohes Maß an Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein verfügt
bulletanderen interessiert und objektiv zuhören kann
bulletihren Gefühlen angemessen Ausdruck verleiht
bulletfähig ist, Dankbarkeit und Anerkennung auszudrücken
bulletzwischen Wichtigem und Unwichtigem unterscheiden kann
bulletweiß, dass sie Autorität besitzt; sie stellt ihr Licht nicht unter den Scheffel
bulletKritik ertragen und Kritik üben kann
bulletimmer wieder über den Sinn ihres Lebens nachdenkt
bulletsich bemüht, angemessene Lösungen für Probleme zu finden und diese Aufgabe nicht an andere delegiert
bulletkooperativ und teamfähig ist
bulletauf Halt gebende Rituale in ihrem Leben achtet
bulletzukunftsorientiert ist
bulletdie "Feste feiert, wie sie fallen" und dafür sorgt, dass die Freude in ihrem Leben nicht zu kurz kommt
bulletsich auf intime Bindungen einlässt, womit Liebesbeziehungen ebenso gemeint sind wie Freundschaften
bulletin der Lage ist, "nein" zu sagen
bulletkompromissbereit ist, aber nicht konformistisch
bulletauf Veränderungen vorbereitet ist
bulletden Status quo immer wieder in Frage stellt
bulletkeine Angst hat, Fehler zu machen und Fehler auch bei anderen toleriert
bulletimmer auf der Suche nach neuen Ressourcen und Informationen ist, die sie bei der Bewältigung der Lebenszyklen unterstützen können.

Dass all diese Eigenschaften nicht schlagartig bis zu einem gewissen Alter erworben werden können, liegt auf der Hand. Doch wir können dem Ziel "Erwachsensein" selbständig näher kommen, wenn wir auf unserem zyklischen Lebensweg an folgenden sieben Aufgaben beharrlich arbeiten:

1. Lerne Geduld

Weil das zyklische Modell des Lebenslaufes immer wieder neue Herausforderungen für uns bereithält, brauchen wir viel Geduld, um Lebensübergänge zu meistern. "Lebensübergänge bedeuten, dass sich Rollen ändern, unsere Identität sich auflöst und wir ganz neue Dimensionen unseres Selbst entdecken", erklärt Frederic M. Hudson. "Entgegen den Hoffnungen der meisten Menschen sind Lebensübergänge keine kurze Periode. Die Entwicklung von dem Menschen, der man ist, zu dem, der man sein wird, braucht Zeit. Es ist ein emotionaler und reflektierender Prozess, der viele Monate oder gar Jahre in Anspruch nimmt."

Die "neuen Erwachsenen" scheinen dies intuitiv zu wissen. Sie lassen sich Zeit: Wenn die Jugendphase vorüber ist, ziehen sie sich nicht sofort den Erwachsenenschuh an, sondern gönnen sich ein ziemlich ausgedehntes Moratorium.

2. Lerne Autonomie

Autonomie bedeutet nicht "die Freiheit, sich und anderen ständig Beweise der Stärke und Überlegenheit liefern zu müssen", erklärt der Psychoanalytiker Arno Gruen. Für ihn ist ein Mensch autonom, wenn er "in voller Übereinstimmung mit seinen eigenen Gefühlen und Bedürfnissen ist". Wer erwachsen ist, kann akzeptieren, dass er ein eigenständiges, von anderen unabhängiges Wesen ist und dass andere wiederum unabhängig von ihm existieren.

Das Gefühl "Ich bin hier, und du bist dort" halten die amerikanischen Autoren Fran und Louis Cox für das "wichtigste Prinzip des Erwachsenseins". Ein Mensch ist ihrer Ansicht nach so lange nicht erwachsen, wie er nicht seine innere Unabhängigkeit von anderen entwickelt hat. Die Erkenntnis, dass man ein eigenständiges Ich besitzt, gibt einem Sicherheit. Erwachsene müssen sich nicht ständig mit anderen vergleichen. Sie müssen sich ihren Wert auch nicht dadurch beweisen, dass sie anderen zu Gefallen sind. Ein Erwachsener fühlt sich sicher und wertvoll, während ein Nichterwachsener eine grundlegende Unsicherheit niemals richtig los wird. Er ist von der Meinung anderer abhängig, lässt es zu, dass ihn deren Urteile und Handlungen in seinem Selbstwertgefühl beeinflussen.

Menschen, die ein starkes Gefühl für ihr eigenes Selbst haben, die ihren eigenen Wert kennen, blicken auch in Situationen, in denen sie sich von anderen angegriffen oder herabgesetzt fühlen, gelassen. Die Gelassenheit ist ein Ausdruck innerer Reife, niemand kann ihre Integrität verletzen. An einem Beispiel aus seinem eigenen Alltag schildert das Autorenpaar Cox, wie geschützt ein autonomer Mensch selbst in Ausnahmesituationen ist: Fran Cox erhielt einen anonymen Anruf. Ein Mann am anderen Ende der Leitung drohte ihr: "Ich weiß, wo du wohnst, und ich werde dich töten." Ohne groß nachzudenken, antwortete Fran Cox gelassen: "Tut mir Leid, Sie müssen sich verwählt haben."

3. Lerne, das Älterwerden zu akzeptieren

Wirklich erwachsene Menschen klammern sich nicht an Jugendlichkeit. "Es gibt Erwachsene, die werden zu lächerlichen Jugendkarikaturen und merken es selber nicht", sagt die Züricher Psychologin und Buchautorin Eva Zeltner. "Der ewigen Jugend hinterher zu hecheln ist nicht gerade erwachsenes Verhalten. Wir sollten uns weniger darüber freuen, dass wir uns gut gehalten haben, sondern mehr Achtung vor unserer Reife und Lebenserfahrung entwickeln."

4. Lerne, Verantwortung zu übernehmen

Erwachsene stilisieren sich nicht als Opfer. Sie machen beispielsweise nicht ihre Eltern dafür verantwortlich, wenn in ihrem Leben etwas nicht nach ihren Vorstellungen verläuft, sondern sehen die primäre Verantwortung für das eigene Leben bei sich selbst. Sie bemühen sich, ihre Eltern zu verstehen und es ihnen nachzusehen, dass sie keine perfekten Eltern sein konnten.

5. Lerne, für die Generationen nach dir zu sorgen

Der Lebenslaufforscher Erik H. Erikson hielt "Generativität" für ein bedeutsames Element des Erwachsenenlebens: Sie "ist in erster Linie das Interesse an der Erzeugung und Erziehung der nächsten Generation, wenn es auch Menschen gibt, die wegen unglücklicher Umstände oder aufgrund besonderer Gaben diesen Trieb nicht auf ein Kind, sondern auf eine andere schöpferische Leistung richten, die ihren Teil an elterlicher Verantwortung absorbieren kann". Der Psychologe John Kotre unterscheidet daher zwischen biologischer Generativität (eigene Kinder großziehen), elterlicher Generativität (sich um fremde Kinder kümmern), technischer Generativität (Fertigkeiten und Wissen an die nächste Generation vermitteln) und kultureller Generativität (kulturelle Werte weitergeben).

6. Lerne, deine Geschlechtsrolle infrage zu stellen

Die Geschlechtsrollen, die noch unsere Väter und Mütter vorlebten, sind für uns nicht mehr tauglich. Es ist schon lange nicht mehr nur dem Mann vorbehalten, hinaus ins feindliche Leben zu marschieren, und Frauen beschränken sich nicht mehr auf die Rolle der treu sorgenden Ehefrau und Mutter. Wohl in keinem anderen Lebensbereich sind Erwachsene heute so aufs Experimentieren angewiesen wie in diesem. Was heißt heute "männlich"? Was ist "weiblich"?

Frank Pittman rät verunsicherten Männern, denen der eigene Vater in der Regel kein Vorbild sein kann, genau das zu tun, was dieser empört als "Frauensache" von sich gewiesen hätte: zärtlich sein, weinen, einen romantischen Film anschauen, Wäsche waschen, das Kind wickeln, die Geschlechterperspektive einmal wechseln und beispielsweise Frauenliteratur lesen. "So befreien Sie sich von alten Geschlechterklischees. Und keine Angst: Sie büßen dabei keinen Tropfen Testosteron und auch kein Y-Chromosom ein", versichert der Psychotherapeut.

Frauen empfiehlt er, das eigene Geschlecht vorbehaltlos zu akzeptieren und Männer weniger ernst zu nehmen. Frauen sollten etwas in ihrem Leben finden, das ihnen ein Gefühl von Einfluss und Stärke verleiht. Niemals sollte sich eine erwachsene Frau über die Beziehung zu einem Mann definieren:

"Sie dürfen sich lieben und unterstützen lassen von einem Mann. Aber niemals dürfen Sie sich von einem Mann definieren lassen."

7. Lerne, aus der Unsicherheit eine Tugend zu machen

Menschen sollten nach Ansicht des Dichters John Keats fähig sein, "in der Ungewissheit, dem Geheimnis, dem Zweifel zu verharren, ohne ungeduldig nach Tatsachen oder Begründungen zu streben". Diese Haltung sollten sich Erwachsene, die "neue" Erwachsene sein wollen, zu Eigen machen. Wer Ambivalenzen, widersprüchliche Gefühle ertragen kann, wer nicht auf "Nummer Sicher" gehen muss, wer aus der Orientierungslosigkeit eine Tugend macht, der ist bestens gerüstet für den langen, gewundenen Weg zum reifen Erwachsenen.

Wenn wir in diesem Sinne erwachsen werden, ohne uns von den "alten" Erwachsenen den Schneid abkaufen zu lassen, dann haben wir auch die Freiheit, uns hin und wieder eine Auszeit vom Erwachsensein zu genehmigen. Rückfälle in kindliche Hilflosigkeit oder jugendliche Rebellion sind in diesem Leben, das sich ständig neu formiert, nicht nur erlaubt, sondern auch notwendig. Erwachsensein ist weniger schwer, wenn wir ab und zu unseren Rücktritt davon erklären. Gehen wir spielen!



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Last updated 11.01.10