1. Der Auftrag des Schöpfers
Den Sinn der Liebe zwischen Mann und Frau erläutert ein alter jüdischer
Weisheitsspruch so: Gott habe die Frau nicht aus dem Kopf des Mannes
geschaffen, dass sie über ihn herrsche, auch nicht aus seinen Füßen, dass
sie seine Sklavin werde, sondern aus seiner Seite, damit ihre Herzen
einander nahe seien. Die kirchliche Auslegung der ersten
Schöpfungserzählung sieht in der Liebe zwischen Mann und Frau sogar ein
Gleichnis, in dem sich das Geheimnis Gottes widerspiegelt: "Gott schuf
also den Menschen als sein Abbild, als Abbild Gottes schuf er ihn. Als
Mann und Frau schuf er sie" (Gen 1,26). Das Höchste, was die Bibel über
den Ursprung und das Ziel des Menschen sagen kann, nämlich dass er von
Gott kommt und auf das Bild seines Schöpfers hin geschaffen ist, sagt sie
von Mann und Frau gemeinsam aus. Mehr noch: Beide bilden das Geheimnis
ihres Schöpfers auch in ihrer Beziehung und durch ihre Beziehung nach,
nicht jeder für sich allein oder die Menschheit als ganze, sondern Mann
und Frau, indem sie füreinander da sind. Weil Gott nach biblischem
Verständnis nicht als ein einsam verschlossenes Wesen gedacht werden kann,
sondern in sich selbst Leben und Austausch, Beziehung und Liebe ist, sind
auch wir Menschen auf Liebe hin geschaffen und zur Liebe bestimmt.
Bereits am Anfang des individuellen Lebens steht die Beziehung. Der
Mensch wird am du zum ich. Zur vollen Entfaltung seines Menschseins
braucht das Kind von Anfang an liebevolle Zuwendung. Die ersten Jahre sind
entscheidend für seine gesunde seelische Entwicklung. Ohne stabile
Nahbeziehungen kann der Einzelne nicht zu einer gesunden, eigenständigen
Persönlichkeit heranreifen. Nur indem das Kind die Erfahrung macht,
angenommen und geborgen zu sein, kann es später als Erwachsener Vertrauen
zu sich und der Welt fassen.
Ehe und Familie sind die Lebensformen, die diesem menschlichen
Grundbedürfnis nach Liebe, Geborgenheit und Halt in besonderer Weise
entsprechen. Sie unterscheiden sich von allen anderen Beziehungsformen,
die unser Dasein bereichern, durch die Vorbehaltlosigkeit und die
unbedingte Verlässlichkeit, mit der Ehepartner einander und ihre Kinder
annehmen. Ehe und Familie sind daher nicht nur Grundeinheiten der
menschlichen Gesellschaft, sondern Grundformen des menschlichen Lebens,
das sich nur in Gemeinschaft entfalten kann.
Auch unverheiratete Menschen sowie Ordensleute und Priester, die
freiwillig "um des Himmelreiches willen" (Mt 19,12) ehelos leben, stehen
in vielfältigen Beziehungen, in denen sich ihr Menschsein erfüllt.
Eheleute erfahren es jedoch in besonderer Intensität, gewissermaßen
hautnah und konkret, dass menschliches Leben nur in Gemeinschaft gelingen
kann. Indem er sie zur Ehe zusammenführt, zeigt Gott den Menschen, wozu
sie als Frau und Mann geschaffen sind: Er stellt sie einander zur Seite,
damit sie in ihrer Ehe ihren gemeinsamen Ort in dieser Welt finden.
2. Die Ehe schützt die Würde von Mann und Frau
Wenn Mann und Frau einander als einmalige Personen annehmen, dann
verlangt ihre Liebe nach einem festen Rahmen, nach einer Gestalt, in der
ihr Wille zur Vorbehaltlosigkeit und Endgültigkeit einen verbindlichen
Ausdruck findet.
Weil das Verlangen nach Dauer jeder wirklichen Liebe eingeschrieben
ist, braucht die Liebe zwischen Mann und Frau auch den rechtlichen Schutz
und die institutionelle Bindung. Dadurch erfahren die Eheleute auch
Entlastung und Unterstützung. Ebenso ist es für die Gesellschaft und die
in ihr lebenden Menschen von großer Bedeutung zu wissen, auf welche Art
sozialer Beziehungen angesichts leidvoller Erfahrungen in Unglück und Not,
in Alter und Krankheit Verlass ist. Eben dies ist der Sinn einer
rechtlichen Ordnung der Geschlechterbeziehung von Frau und Mann durch die
Ehe: Die vor der gesellschaftlichen und kirchlichen Öffentlichkeit
bekundete Bereitschaft, füreinander Verantwortung zu tragen, gründet das
Verhältnis von Mann und Frau in neuer personaler Tiefe und stiftet so in
ihrem gegenwärtigen Verhältnis wie auch gegenüber der Gesellschaft eine
sichtbare Verlässlichkeit. Ein solches öffentliches Bekenntnis zueinander
hat mehr Gewicht als ein nur privates mündliches Versprechen.
3. Familie baut auf der Ehe auf
Die Angewiesenheit auf rechtlichen Schutz gilt in gleicher Weise für
die Ehe wie für die Familie: Nur die verbindliche Bereitschaft, in allen
Lebenslagen füreinander einzustehen, schafft einen angemessenen Rahmen für
die Übernahme von Elternverantwortung. Die Familie stützt sich nach
christlichem Verständnis auf die Ehe. Da das Zusammenleben mit Kindern
nicht nur eine Privatangelegenheit der Eltern ist, muss die Ordnung ihres
Zusammenlebens auch um der Kinder willen verlässlich, stabil und
öffentlichem Schutz unterstellt sein.
Kinder gehören ganz wesentlich zur ehelichen Lebensgemeinschaft von
Mann und Frau, denn wahre Liebe will nicht für sich allein bleiben. Kinder
sind eine "Gabe des Herrn" (Ps 127,3), ein Geschenk und ein Segen, sie
sind die natürliche Frucht und Vollendung ehelicher Liebe. Eltern erfahren
sich durch Kinder auf einzigartige Weise beschenkt und zugleich
herausgefordert. Aber auch Ehepaare, deren Kinderwunsch unerfüllt bleibt,
können aus der Erfahrung, dass wahre Liebe nicht für sich allein bleiben
will, ihr Eheleben in der liebevollen Zuwendung zu anderen Menschen
sinnvoll und schöpferisch gestalten.
4. Der geschichtliche Beitrag des Christentums
Die Ehe entspricht der menschlichen Sehnsucht nach ganzheitlicher, das
heißt leiblicher, geistiger und seelischer Zuwendung und Geborgenheit. Sie
soll Schutzraum für die personale Entfaltung der Geschlechter und die
Zeugung und Erziehung der Kinder sein. Dies kann sie aber nur sein, wenn
die Liebe der Ehegatten nicht willkürlich und auf den Augenblick bezogen
ist, sondern dauerhaft und ausschließlich. Erst wenn sich Mann und Frau
unbedingt geborgen und angenommen wissen, kann sich ihre Liebe voll
entfalten. Der Anspruch unauflöslicher ehelicher Treue, den das
Christentum von Anfang an als wechselseitige Forderung an Mann und Frau
verstand, stellt deshalb eine wichtige Einsicht dar, hinter die ein
wahrhaft menschlicher Umgang der Geschlechter nicht mehr zurückfallen
darf.
Historisch gesehen hat die christliche Überzeugung von der Einheit,
Unauflöslichkeit und sakramentalen Würde der Ehe die Entwicklung zu einem
partnerschaftlichen und personalen Verständnis ehelicher Liebe, wie es uns
heute selbstverständlich erscheint, wesentlich mitgeprägt. Der Kampf für
die gesellschaftliche und rechtliche Anerkennung der Ehe stellt eine der
wichtigsten kulturgeschichtlichen Errungenschaften dar, die das
Christentum in die moderne Gesellschaft eingebracht hat. Dabei ging es der
Kirche trotz mancher Zugeständnisse an die historisch bedingten
Eheauffassungen der jeweiligen Zeit in erster Linie darum, die Stellung
der schutzbedürftigen Mitglieder des Familienverbandes, insbesondere der
Frau, zu stärken und die Menschlichkeit des Menschen zu wahren. So hat sie
im Gehorsam gegenüber der Weisung Jesu den Anspruch und die Lebbarkeit
ehelicher Treue von Anfang an gegen alle scheinbare Erleichterung durch
die gesellschaftliche Scheidungspraxis verteidigt. Später hat sie gegen
römisches und germanisches Recht die Frau aus dem Status des Eigentums
befreit. Im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit hat sie dazu beigetragen,
die Verantwortung für die Eheschließung in die Hände der Brautleute selbst
zu legen. Auf diese Weise hat sie Mann und Frau aus der Bevormundung durch
die Eltern und andere gesellschaftliche Kräfte befreit.
Gegen alle Skepsis und Verzweiflung, die als verborgene Grundstimmungen
in unserer Gesellschaft vorhanden sind, hält die Kirche auch heute an der
Fähigkeit des Menschen zu lebenslanger Liebe und Treue fest. Es beruht auf
einer Verkennung der kulturgeschichtlichen Zusammenhänge, wenn die Ehe
vielen als eine von der gesellschaftlichen Entwicklung überholte
Lebensform erscheint, während alternative Partnerschaftsmodelle als
Ausdruck eines attraktiven, zeitgenössischen Lebensstiles gelten, der
vermeintlich dem Bedürfnis nach Selbstbestimmung und Freiheit
entgegenkommt. Politische Bestrebungen, unter dem Vorzeichen der
Gleichbehandlung anderer Formen des Zusammenlebens die grundlegende
Bedeutung von Ehe und Familie zu bestreiten und ihren besonderen
rechtlichen Schutz einzuebnen, sind schädlich für die Menschen und von
Grund auf zerstörerisch für die Gesellschaft.
5. Das Ja der Treue als Antwort auf das Ja Gottes zum Menschen
Für getaufte Christen bekommt das Ja der Treue dadurch sein besonderes
Gewicht, dass sie es sich vor Gott und im Raum der kirchlichen
Glaubensgemeinschaft versprechen. Ihre Liebe wird zum Sakrament der Nähe
Gottes, das ihre gemeinsame Lebensgeschichte unter ein bleibendes
Vorzeichen stellt. Ihr menschliches Ja-Wort, das sie einander geben, ist
von dem endgültigen Ja, das Gott in Jesus Christus zu uns gesprochen hat,
getragen und umfangen. Ihre Liebe ist im Sakrament der Ehe geheilt und
geheiligt. Die Propheten des Alten Testamentes und der Apostel Paulus
haben den Zusammenhang zwischen der Liebe Gottes zu den Menschen und der
Liebe zwischen Mann und Frau deshalb im Bild eines unwiderruflichen
"Bundes" dargestellt. Erst im Vertrauen darauf, dass ihre begrenzte Liebe
von der größeren Liebe Gottes getragen und gehalten ist, können die
Ehepartner es wagen, einander trotz ihrer Fehler und Schwächen
vorbehaltlos anzunehmen. Wenn sie einander das Sakrament der Ehe spenden
und dadurch den Bund ihrer Ehe stiften, vertrauen und hoffen sie darauf,
dass Gott die Treue, die er seinem Volk immer wieder erwiesen hat, auch
ihnen Tag für Tag erweisen wird. Der große Segen über die Brautleute, der
im Anschluss an das feierliche Eheversprechen vom Priester gesprochen
wird, bekräftigt, dass die Ehe als sakramentales Zeichen den Bund Gottes
mit den Menschen darstellt und ein Abbild der Liebe Christi ist (vgl. Eph
5,21-33).
In ihrem Eheversprechen bauen die Eheleute deshalb nicht nur auf ihre
eigene Kraft. Sie bringen ihr Vertrauen zum Ausdruck, einander für das
Wachstum ihrer Liebe Zeit zu lassen, ohne diese Zuwendung an irgendwelche
Bedingungen zu knüpfen. Sie sind bereit, ihr ganzes eigenes Wollen in das
gemeinsame Leben einzubringen, auch wenn dies unter Umständen die
Zurückstellung eigener Interessen und Erwartungen erfordern kann. Da das
Eheversprechen aber im Angesicht Gottes gegeben wird, bekunden die
Ehepartner zugleich, dass sie nicht nur auf ihre eigene Kraft hoffen. Sie
verstehen ihr Versprechen vielmehr als eine ständige Bitte an Gott, ihnen
die Kraft zu geben, ihre Liebe im täglichen Leben zu bewahren.
Wenn die Ehe der Weg ist, auf dem die Eheleute zusammen mit ihren
Kindern immer tiefer in Gottes Liebe hineinwachsen sollen, dann schließt
dieser Weg auch Umkehr und das Ringen um Versöhnung ein. Das Leiden an
menschlicher Unvollkommenheit, der eigenen wie der des Partners, und die
Verarbeitung von Schuld sind notwendige Reifeschritte, die in keiner Ehe
ausbleiben. Wenn solche Krisen in der Bereitschaft zur Versöhnung
angenommen werden, tragen sie zu den unvermeidlichen Wandlungen des Lebens
und zum Gelingen der Liebe bei.
Der Schutzraum der Ehe, in dem Frau und Mann sich einander schenken, um
aus Gottes Verheißung miteinander zu leben, bedeutet von sich aus
allerdings keine Garantie für das Gelingen der Ehe. Auch Ehepaare stehen
vor der Aufgabe, eine je eigene Form von gelebter Partnerschaft zu finden
und ein Leben lang weiter zu entwickeln - im Aufbau und in der Pflege
einer Gesprächskultur, in der Entfaltung von Zärtlichkeit und sexueller
Gemeinschaft, in der Entscheidung zu Kindern und in der Kindererziehung,
in der einvernehmlichen Zuordnung von Erwerbsarbeit und Familienarbeit, in
der Kultivierung von Bedürfnissen und gegenseitiger Rücksichtnahme sowie
in der Suche nach einem gemeinsamen Lebensstil. Aber weil sie den
Spielraum dafür nicht je von neuem ausmessen und füreinander bereitstellen
müssen, bedeutet die Ehe auch eine Entlastung von der Überforderung, die
Grundlagen des gemeinsamen Lebens täglich neu aushandeln zu müssen. Ehe
ist so immer beides: vorgegebene Lebensform und verantwortlich gestaltete
Beziehung. Sie wird umso besser gelingen, je bewusster den Partnern vor
Augen steht, dass auch ihr gemeinsames Leben im Miteinander von göttlicher
Gabe und menschlicher Aufgabe gründet. So erfüllen sie durch ihr
gemeinsames Leben in besonders dichter und unverwechselbarer Weise das,
was uns allen als Gemeinde Jesu Christi aufgetragen ist: "Nehmt einander
an, wie auch Christus uns angenommen hat" (Röm 15,7).
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Quellennachweis:
Die deutschen Bischöfe: Ehe und Familie in guter Gesellschaft,
17.1.1999, Hsg. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz |